VEÖ-Tagung Lebenswelt Darm – das Mikrobiom

VEÖ-Tagung Lebenswelt Darm – das Mikrobiom

Süßstoffe sind ein Teil der Ernährung vieler Menschen – bei manchen mehr, bei anderen weniger. Als ExpertInnen für Süßstoffe sind wir an jeglichen Themen, die Ernährung betreffend, interessiert und halten uns auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft informiert, auch wenn es das Thema Süßstoffe im erweiternden Umfeld betrifft. Bei der VEÖ-Jahrestagung ging es diesmal um die Lebenswelt Darm – das Mikrobiom. Für die Zusammensetzung und die Diversität der Mikrobiota im Darm spielt die Ernährung natürlich eine erhebliche Rolle.

Adipositas und das Darmmikrobiom

Gleich zu Beginn erfuhren die ZuhörerInnen über den Zusammenhang des Darmmikrobioms mit Adipositas – bei Adipösen finden sich eine reduzierte Diversität der Mikrobiota. Noch nicht restlos geklärt ist das „energy harvest“-Modell, welches besagt, dass die Darmbakterien im Falle von Adipösen mehr Energie aus der aufgenommenen Nahrung ziehen durch die Bildung von Short Chain Fatty Acids. Auch in einem späteren Vortrag von Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Medizinischen Universität Graz wird das Thema Adipositas noch einmal besprochen – diesmal im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom. Auch hier wird der Zusammenhang von Adipositas und dem Mikrobiom klar bestätigt. Die Frage, ob ein gewisses Mikrobiota-Bild nun Adipositas verursacht, das Übergewicht Einfluss auf die Mikrobiota hat oder beides der Fall ist, ist bisher noch nicht beantwortet.

Vielfalt der Darmbakterien zählt

Eine große Vielfalt an verschiedenen Darmbakterien ist erstrebenswert und es gibt viele Faktoren, die das Mikrobiom formen. Neben der Ernährung wird das Mikrobiom noch von Alter, Immunsystem, Entzündungen, Medikamenten, Schlafgewohnheiten, Hormonen, Sozialen Kontakten, Hygiene-Maßnahmen oder Geburtsmodus beeinflusst.

Wer die Gesundheit seines Mikrobioms fördern will, dem sei eine mediterrane Diät geraten mit einer bunten Auswahl an pflanzlichen Lebensmitteln, Vollkornprodukten, Milchprodukten, pflanzlichen Ölen mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren und zwischendurch auch mal fermentierte Lebensmittel. Die typische „Western Diet“, die durch gesättigte Fettsäuren, hoch verarbeitete Lebensmittel, einfache Zucker, rotes Fleisch und Alkohol gekennzeichnet ist, ist für die Diversität der Mikrobiota nachteilig so Sonja Lacker von der Medizinischen Universität Graz.

Der gereizte Darm und Genderunterschiede

Über Zöliakie, Weizenallergie, Glutensensitivität und das Reizdarmsyndrom sprach Klaus Nigl von der FH Gesundheitsberufe Oberösterreich. Hierbei können durch Modulationen der Ernährung gute Ergebnisse erzielt werden – zum Beispiel durch eine FODMAP-arme Ernährung. Trotzdem besteht das Risiko einer Mangelernährung, da phasenweise auf viele Lebensmittel verzichtet werden muss. Nigl empfiehlt deshalb, Lebensmittel wirklich nur soweit zu reduzieren, wie es Sinn macht und nötig ist.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es auch in der Medizin. Im relativ neuen Gebiet der Gendermedizin ist Mirjam Leitner von der Medizinischen Universität Wien eine Expertin. Sie erklärte, dass das Mikrobiom zwischen Männern und Frauen dahingehend verschieden ist, dass es für das männliche Immunsystem eine größere Rolle spielt als für Frauen.

Psyche, Allergien und das Mikrobiom

Ein weiteres Themengebiet das bei der VEÖ-Tagung diskutiert wurde, ist der Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Psyche. Zwischen dem Gehirn und dem Darm findet einiges an Kommunikation statt, so Gabriele Moser von der Medizinischen Universität Wien. Deshalb können auch zahlreiche Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und psychischen Erkrankungen wie Autismus, Angst oder Depression hergestellt werden. Durch Stuhltransplantation können Störungen wie Angst oder Depression sogar übertragen werden. Auch wenn es um die Psyche geht, spielt die Ernährung über die Darmgesundheit wiederum eine wichtige Rolle. Die schon erwähnte „Western Diet“ wirkt sich auch hierbei nachteilig auf die psychische Gesundheit aus – umgekehrt kann mit einer gesunden Ernährung die psychische Gesundheit positiv moduliert werden.

Im nächsten Vortrag wurden Allergien besprochen, die mittlerweile als die häufigste chronische Erkrankung weltweit gelten. Die bakterielle Besiedelung der Haut- und Schleimhaut stellt eine wichtige Komponente der Barrierefunktion der Haut dar. Aber auch die Mikrobiota im Darm werden seit einigen Jahren mit Allergien in Verbindung gebracht. Diese beeinflussen das Immunsystem direkt und so ist für verschiedene Keime ein Schutzwirkung bei Nahrungsmittelallergien nachgewiesen. Weiters spielt die bakterielle Besiedelung im Respirationstrakt eine Rolle in der Allergieentwicklung und dem Schutz vor einer Allergie. Umgekehrt konnte zusätzlich gezeigt werden, dass durch eine anti-allergische Therapie die Zusammensetzung der Mikrobiota beeinflusst werden kann (Eva Untersmayr-Eisenhuber, Medizinische Universität Wien).

Von Stuhlanalysen und Probiotika

Ob und in welchen Fällen Stuhlanalysen und darauf basierend eine personalisierte Ernährungsempfehlung Sinn macht, diskutierte Berit Hippe von der Universität Wien. Eine personalisierte Ernährung, also die individuell optimale Ernährung aufgrund des Mikrobioms, klingt zwar vielversprechend, stößt in der Praxis aber auf ihre Grenzen. Das „gesunde“ Mikrobiom gibt es nämlich nicht, so Hippe. Die Mikroorganismen unterscheiden sich erheblich von Individuum zu Individuum und selbst eine Dysbiose (also eine Störung der Darmflora) sei nicht klar definiert. Interessanterweise lässt sich der berühmte Jojo-Effekt beim Versuch, Gewicht zu verlieren, durch Analyse der Zusammensetzung des Mikrobioms voraussagen. Hier hätte eine personalisierte Ernährung in Kombination mit Probiotika Potential. Die seit einiger Zeit sehr populären Anbieter für Stuhlanalysen betrachtet Hippe kritisch. Gewisse Parameter machen Sinn zu erfassen, so zum Beispiel die Diversität der Mikrobiota – diese kann einen Hinweis auf einseitige Ernährung geben. Grundsätzlich sieht Hippe die Chancen von Stuhlanalysen aber eher in einer Richtungshilfe und zu Präventionszwecken, nicht aber zur Diagnosestellung.
In einer Podiumsdiskussion rund um das Thema Probiotika wurde betont, dass die Vielfalt und Wirkung von Probiotika groß ist und es von Wichtigkeit ist, zu wissen, von welchem Mikroorganismus nun gesprochen wird. Die  personalisierte Ernährung kann eine Chance sein, um mithilfe von gezieltem Probiotika-Einsatz die Gesundheit zu fördern. Alexander Haslberger von der Universität Wien empfiehlt eine abwechslungsreiche Ernährung als Basis für die optimale Besiedelung des Darms.

Forschung über das Mikrobiom steckt noch in Kinderschuhen

Sehr vieles, was über das Mikrobiom im Darm in der Fachwelt diskutiert wird, steckt noch in den Kinderschuhen. Eine der Herausforderungen, vor denen die ForscherInnen stehen, ist beispielsweise die Frage der Kausalität – oftmals handelt es sich bei wissenschaftlichen Beobachtungen um Korrelationen – das heißt zwei Phänomene treten zugleich auf. Was nun aber genau die Ursache und was die Wirkung ist, ist noch keineswegs geklärt (Lackner, Stadlbauer-Köllner). Weiters ist es von Bedeutung, zu beachten, dass die Faktoren, welche auf die Zusammensetzung des Mikrobioms wirken, zahlreich sind und für jeden Menschen höchst individuell zu betrachten sind (Untersmayr-Elsenhuber).

Die Erkenntnisse, die uns im Rahmen der vielfältigen Vorträge präsentiert wurden, sind teilweise brandneu und bedürfen noch einiges mehr an Forschung. Gute Nachrichten also für die Mikrobiom-begeisterten ForscherInnen, die ich an diesem grauen Frühlingstag getroffen habe.

In der wissenschaftlichen Diskussion auf der VEÖ-Tagung rund um das Thema Mikrobiom im Darm spielten Süßstoffe keine Rolle. Dies war für mich wenig überraschend, zumal wir vom Süßstoffverband uns schon ausgiebig mit der bestehenden Literatur zum Thema Süßstoffe und Mikrobiom beschäftigt haben, sobald das Thema vor kurzem häufiger am Forschungs-Radar erschienen ist. Der Süßstoffverband und die International Sweeteners Association bewerten die derzeitige Studienlage zum Mikrobiom als unproblematisch, was den Süßstoffverzehr anlangt. So auch die internationalen Zulassungsbehörden. Die Wissenschaft im Bereich des Mikrobioms wird sich weiterentwickeln und wir sind gespannt, welche Ergebnisse in der Zukunft auf uns warten.

Für den Süßstoffverband ist es von großer Wichtigkeit, uns ständig weiterzubilden im gesamten Ernährungsbereich – so zum Beispiel auf der Tagung vom Verein der Ernährungswissenschaftler Österreichs. Nur dadurch ist es möglich, wissenschaftlich fundierte Auskunft und Information zum Einsatz von Süßstoffen gewährleisten zu können. Ein herzliches Dankeschön für die spannend aufbereiteten Beiträge zur Lebenswelt im Darm – ein faszinierendes Thema, welches die Ernährungswissenschaften in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich noch viel und intensiv beschäftigen wird.


Literatur:

Sonja Lackner. Medizinische Universität Graz. Der Darm als gesundheitsmodulatorisches Organ – Fokus Mikrobiom.

Klaus Nigl. FH Gesundheitsberufe OÖ GmbH. Allheilmittel für den Darm? Glutenfrei, Fodmap, Milchsäurebakterien und Co.

Miriam Leitner. Medizinische Universität Wien. Darm/Darmin – Genderunterschiede in der Darmflora?

Gabriele Moser. Medizinische Universität Wien. Mikrobiom und Psyche – wie Darmbakterien uns beeinflussen können.

Eva Untermayr-Elsenhuber. Medizinische Universität Wien. Allergien und Mikrobiom

Berit Hippe. Universität Wien. Stuhlanalysen – Chancen und Grenzen.

Vanessa Stadlbauer-Köllner. Medizinische Universität Graz. Mikrobiom und Metabolisches Syndrom.

Fragen & Antworten

Anja RothÖFFENTLICHKEITSARBEIT DEUTSCHLAND

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