Wussten Sie, dass…?
Vorliebe versus Begierde
Vorliebe: Ich weiß, dass es gut schmeckt, muss es jetzt aber nicht haben.
Begierde: Ich weiß nicht genau warum, aber ich muss es unbedingt haben.
Woher kommt die Lust auf Süßes? Was ist angeboren und gibt es eine genetische Veranlagung für süße Vorlieben? Ändert sich der Süßgeschmack im Verlauf des Lebens und wie wirkt sich unser Süßappetit auf unser Verhalten und unser Gewicht aus? Steigert Süßes die Lust auf noch mehr Süße, oder können wir uns an Süßem satt essen?
Viele Fragen, denen sich Experten im Rahmen der 22. Europäischen Adipositas-Konferenz in Prag u.a. widmeten. Teilnehmer aus allen Teilen der Welt aus Wissenschaft und dem Gesundheitsbereich versammelten sich mit dem gemeinsamen Ziel, die mit der Übergewichtsproblematik verbundenen Auslöser besser zu verstehen und im Kontext der aktuellen Gesundheitsdebatte in Angriff zu nehmen.
Das Symposium „Süße Lebensmittel im Alltag: Eine wissenschaftliche Betrachtung unseres Appetits auf Süßes und der Auswirkungen auf die Gewichtskontrolle“ (Originaltitel: “Sweetness in everyday life: a scientific review of our appetite for sweet taste and the effect on weight management”), das vom internationalen Süßstoff-Verband (ISA) organisiert wurde, bot den Kongressteilnehmern einen multidisziplinären Einblick in die Thematik.
Dr. Graham Finlayson von der Fakultät für Psychologie an der Universität Leeds ist Experte für Psychobiologie der menschlichen Motivation mit Schwerpunkt auf Appetit, Nahrungsmittelauswahl, Belohnung durch Lebensmittel und der Wechselwirkung zwischen Energieaufnahme und -verbrauch. Er betonte in seiner Präsentation zum Thema „Süßer Geschmack im Kontext der hedonischen Wirkung und Kontrolle über die Nahrungsaufnahme“ (Originaltitel: “Sweet Taste: Hedonic Impact and Control Over Food Intake”), dass es zwei verschiedene Vorgänge nämlich – sensorische und ernährungsphysiologische – im Zusammenhang mit unserer „Vorliebe“ und „Begierde“ nach süßer Nahrung gibt. Eine Vorliebe, also das Wissen darüber, dass etwas „lecker“ schmeckt, verursacht noch nicht unbedingt auch ein Verlangen oder eine Begierde danach.
Vorliebe versus Begierde
Vorliebe: Ich weiß, dass es gut schmeckt, muss es jetzt aber nicht haben.
Begierde: Ich weiß nicht genau warum, aber ich muss es unbedingt haben.
So kann der süße Geschmack sowohl die Nahrungsaufnahme durch homöostatische Prozesse (Hunger / Sättigungsgefühl) oder auch durch hedonische (Lohn, Appetit) beeinflussen. Das Verhältnis zwischen Süßem und Sättigung ist dabei komplex und zeitabhängig, erklärte der Experte. „Insgesamt können Personen ihre Vorliebe für süße Nahrung recht gut einschätzen, wissen aber wenig über ihre Begierde danach“, erläuterte Dr. Finlayson und fügte hinzu: „bei Personen, die anfällig für übermäßiges Essen sind, kann die Exposition gegenüber süßer kalorienreicher Nahrung, über die hedonische Begierde Auswirkungen auf den Verzehr und den Appetit haben“. Seine Schlussfolgerung: Die Messung der hedonischen Reaktion (insbesondere Essen wollen) für bestimmte Lebensmittel könnte helfen, Ratschläge für eine bessere Steuerung der Nahrungsaufnahme anzupassen.
Der Forschungsschwerpunkt von Frau Dr. France Bellisle, von der Université Paris 13, umfasst alle Arten von Determinanten der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, wie z.B. die Lebensmittelauswahl, Körpergewichtskontrolle und Essgewohnheiten. Zudem beschäftigt sie sich mit Übergewicht bei Kindern und Erwachsenen. In Ihrem Vortrag (“Human Appetite for Sweetness: role of biology, exposure and the contribution of intense, low-energy sweeteners”) präsentierte sie die Ergebnisse ihrer jüngsten Literaturanalyse zum Thema „süßer Geschmack“, die über 30 Jahre wissenschaftlicher Studien umspannt und die Bedeutung von süßem Geschmack im Alltag sowie den Nutzen von Süßstoffen für Personen, die auf ihr Gewicht achten müssen erforscht. „Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass kalorienarme Süßstoffe nicht den Appetit auf Süßes steigern und dass Personen, die Süßstoffe in ihre Ernährung integrieren, tatsächlich weniger zu einem übermäßigen Konsum von zuckerhaltigen Lebensmitteln neigen”, so Dr. Bellisle. Ihr Fazit: „fundierte und übereinstimmende Daten zeigen, dass der Appetit auf süß schmeckende Produkte bei Personen, die Süßstoffe verwenden, reduziert werden kann“. Das Interview mit Frau Dr. France Bellisle können Sie hier einsehen.
Prof. Hely Tuorila von der Universität Helsinki, deren Arbeitsschwerpunkt in der Sensorik- und Konsumentenforschung liegt, präsentierte erste Erkenntnisse aus ihrer aktuellen Forschungsarbeit über den Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Süßes, Demographie und BMI, die unter Zwillingspaaren (in Großbritannien und Finnland) durchgeführt wurde (Originaltitel: Responses to sweet products relative to demographics and body weight: Evidence from two (twin) populations). Sie betonte, dass sich „deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Vorliebe für süße Lebensmittel bei finnischen Zwillingen im Teenageralter” gezeigt hätten und fügte hinzu, dass „von Natur aus süße Früchte, Beeren und Obstsäfte bei beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen äußerst beliebt sind, aber nicht den Heißhunger auf Süßes stillen“.
Die Schlussfolgerungen der Experten bestätigten, dass vielfältige Faktoren die Entscheidung des Konsumenten für süß schmeckende Produkte beeinflussen. Umgebungsbedingte, genetische und psychologische Auslöser spielen eine Schlüsselrolle bei der Stimulation der Nahrungsaufnahme und können Auswirkungen auf die Gewichtskontrolle haben. In einer zunehmend komplexen Welt ist es daher von höchster Bedeutung, dass Fachkräfte im Gesundheitswesen stärker auf die Bedürfnisse von Personen mit Gewichtsproblemen eingehen und auch kalorienarm/frei gesüßte Alternativen bieten, die auf sinnvolle Weise dazu beitragen, dass Menschen zu einem ausgewogeneren Lebensstil finden.