Entwarnung: Neotam hat keine negativen Auswirkungen auf die Darmmikrobiota

Neue In-vitro-Studie: Das menschliche Darmmikrobiom ist kein Reagenzglas

Eine kürzlich veröffentlichte In-vitro-Studie (1) der britischen Anglia Ruskin University sorgt derzeit medial für Aufregung. Im Mittelpunkt stehen die angeblichen Auswirkungen von Neotam auf die Darmmikrobiota. So soll der Süßstoff dazu führen, dass nützliche Darmbakterien erkranken und in der Folge in die Darmwand eindringen und diese beschädigen. Die Untersuchungen im „Reagenzglas“ lassen sich jedoch nicht auf das menschliche Mikrobiom übertragen. Denn das Studiendesign berücksichtigt nicht die komplexen Wechselwirkungen des menschlichen Verdauungssystems und der Mikrobiota. Auch die Stoffwechselprozesse, die Süßstoffe während des Verdauungsprozesses durchlaufen und die darüber entscheiden, welche Süßstoffmengen das Darmmikrobiom tatsächlich erreichen, bleiben in der Studie unberücksichtigt.

Neotam-Darmstudie: Reagenzglas versus Realität

Die neue Studie von Shil et al. wurde außerhalb des menschlichen Körpers mit isolierten Zellen und Bakterien im „Reagenzglas“ durchgeführt. Dabei wurden Modelle der Mikrobiota (Escherichia coli und Enterococcus faecalis) und des Darmepithels (Caco-2 Zellen, die sich in der Innenseite des Darms befindet) verwendet. Die Bakterien und Zellen wurden über einen Zeitraum von 24 Stunden Neotam ausgesetzt. Zum Vergleich: Die Transitzeit von Neotam im menschlichen Körper beträgt jedoch nur etwa 5 Stunden. Solche In-vitro-Testbedingungen sind demnach nicht mit den realen Expositionsbedingungen beim Menschen vergleichbar. Daher kann die Studie auch nicht vorhersagen, welche Auswirkungen der Konsum von Neotam tatsächlich auf das menschliche Darmmikrobiom hat.

Der menschliche Darm ist einzigartig und komplex

Die Mikrobiomforschung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, dass der menschliche Darm ein einzigartiges und komplexes Ökosystem beherbergt. Die Herausforderung für die Forschung besteht darin, dieses komplexe Geflecht zu verstehen, die Zusammenhänge zu erkennen und die Wechselwirkungen mit dem Körper zu entschlüsseln. Erkenntnisse aus Tierversuchen sind daher nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar, und In-vitro-Studien können das komplexe, interaktive System des menschlichen Körpers nicht nachbilden. Selbst bei Studien am Menschen besteht die große Herausforderung darin, individuelle Gesamtnahrungsaufnahme zu berücksichtigen.

Wir konsumieren nur sehr geringe Mengen Neotam

Was ist Neotam?

Bei Neotam handelt es sich um ein Aspartam-Derivat. Die enthaltene Aminosäure kommt natürlicherweise in den meisten proteinhaltigen Nahrungsmitteln vor, beispielsweise in Fleisch, Milchprodukten und Gemüse. Durch seine starke Süßkraft (zwischen 7.000- bis 13.000-mal so hoch wie Zucker) kann der Nährwert vernachlässigt werden. Neotam erzeugt einen langanhaltenden zuckerähnlichen Geschmack und verstärkt Aromen, wie Zitrone, Vanille, Minze und Schokolade.

Neotam wird schnell, aber nur teilweise absorbiert. Dabei wird sowohl absorbiertes als auch nicht absorbiertes Neotam über gut charakterisierte Stoffwechselwege zu ungiftigen Metaboliten metabolisiert. Der Hauptmetabolit, entestertes Neotam, wird selbst rasch mit dem Urin und den Fäkalien ausgeschieden, ohne dass es Hinweise auf eine Anreicherung im Gewebe gibt. Der Süßstoff zeichnet sich außerdem durch seine hohe Süßkraft aus. Daher ist nur eine sehr geringe Menge Neotam zum Süßen von Lebensmitteln erforderlich. Schon allein deshalb ist ein Einfluss auf das Mikrobiom äußerst unwahrscheinlich.

Auch Studien zeigen, dass Süßstoffe weder beim Menschen noch bei Mäusen einen Einfluss auf die Mikrobiota, die kurzkettigen Fettsäuren im Stuhl oder den oralen Glukosetoleranztest (oGTT) haben (2). Eine aktuelle Literaturübersicht kommt zu dem Schluss, dass allgemeine Veränderungen in der Ernährung, die nicht mit dem Konsum von Süßstoffen zusammenhängen, die wichtigsten Faktoren für Veränderungen in der Darmmikrobiota sind (3).

Umfangreiche Studien bestätigen die Sicherheit von Neotam

Die Sicherheit von Neotam als Süßstoff und Geschmacksverstärker wird in umfangreichen Studien bestätigt. Im Jahr 2003 wurde Neotam vom JECFA (Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives) bewertet und für sicher befunden. 2007 erfolgte die Sicherheitsüberprüfung durch die EFSA (European Food Safety Authority). Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat Neotam im Jahr 2002 als sicher eingestuft. In der Europäischen Union erfolgte die Zulassung des Süßstoffes im Dezember 2009. Weltweit ist Neotam in über 35 Ländern zugelassen.

Quellen:

(1)
Shil A, Ladeira Faria LM, Walker CA, Chichger H. The artificial sweetener neotame negatively regulates the intestinal epithelium directly through T1R3-signaling and indirectly through pathogenic changes to model gut bacteria, Front. Nutr., 2024 Apr 24;11. https://doi.org/10.3389/fnut.2024.1366409
(2)
Lobach AR, Roberts A, Rowland IR. Assessing the in vivo data on low/no-calorie sweeteners and the gut microbiota. Food Chem Toxicol. 2019;124(December 2018):385-399. doi:10.1016/j.fct.2018.12.005
Ruiz-Ojeda FJ, Plaza-Díaz J, Sáez-Lara MJ, Gil A. Effects of Sweeteners on the Gut Microbiota: A Review of Experimental Studies and Clinical Trials 2019 Jan 1;10(suppl_1): S.31 – 48. doi: 10.1093/advances/nmy037.
Serrano J et al. High-dose saccharin supplementation does not induce gut microbiota changes or glucose intolerance in healthy humans and mice. Microbiome. 2021. PMID: 33431052
(3)
Lobach A, Roberts A, Rowland I. Assessing the in vivo data on low/no-calorie sweeteners and the gut microbiota. Food and Chemical Toxicology 2019; 124: 385-399.

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