Folge #16: Deklaration von Lebensmitteln

Zu Gast: Stephanie Wetzel von lebensmittelklarheit.de

Ohne Süßungsmittel = Ohne Zucker?! Das ist leider ein Trugschluss auf den viele Menschen immer wieder reinfallen. Warum es diese irreführenden Bezeichnungen auf Lebensmittelverpackungen gibt und wie man sie richtig interpretiert haben wir in unserer neuen Folge von so! was? süßes. in Erfahrung gebracht.

Stephanie Wetzel, Diplom Oecotrophologin und Leiterin des Projekts „lebensmittelklarheit.de“, welches im Auftrag der Verbraucherzentralen ins Leben gerufen wurde war bei Anja Roth und Sophie Samrock im Podcast zu Gast und hat Rede und Antwort gestanden.

Hört gerne rein, wenn ihr mehr zum Thema Lebensmittel-Deklaration wissen wollt oder ihr euch für die Arbeit von „Lebensmittelklarheiten“ interessiert.

All das erfahrt ihr in der aktuellen Folge unseres neuen Podcasts zu süßer Ernährung.

Viel Spaß beim Hören.

Transkription der Folge:

Sophie Samrock Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge „so! was? süßes.“. Dem Podcast rund um das Thema süße Ernährung. Mein Name ist Sophie Samrock und mit mir im Studio ist heute wieder unsere Ernährungs- und Süßstoffexpertin Anja Roth. Hi Anja.

Anja Roth Hallo Sophie!

Sophie Samrock Außerdem haben wir heute wieder einen spannenden Gast zugeschaltet. Herzlich willkommen Stephanie Wetzel.

Stephanie Wetzel Ja, hallo, guten Morgen.

Sophie Samrock Guten Morgen! Wir freuen uns sehr, dass Sie da sind. Sie und Anja sind ja quasi Kolleginnen und kennen sich auch schon ein bisschen länger.

Anja Roth Ja, wir kennen uns von vielen Fachkongress, Tagungen und so.

Stephanie Wetzel Stimmt.

Sophie Samrock Unsere Hörerinnen und Hörer kennen Sie aber vermutlich noch nicht so gut. Deswegen würden wir uns sehr freuen, wenn Sie sich zu Beginn einmal kurz vorstellen könnten.

Stephanie Wetzel Das mache ich gerne. Mein Name ist Stephanie Wetzel. Ich bin Diplom Ökotrophologin wie Anja Roth. Also Ernährungswissenschaftlerin und ich koordiniere das Projekt Lebensmittelklarheit im Verbraucherzentrale Bundesverband. Das Projekt Lebensmittelklarheit, das kann ich vielleicht gleich dazu sagen, ist ein Internetportal für Verbraucherinnen und Verbraucher. Dort können sie Produkte melden, deren Kennzeichnung sie als missverständlich oder sogar als täuschend ansehen. Wir klären dann, ob es da tatsächlich ein Täuschungspotenzial gibt, und stellen diese Produkte online. Deswegen ist das Portal eigentlich recht interessant für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Sophie Samrock Okay, also wir verlinken das auf jeden Fall in den Shownotes. lebensmittelklarheit.de ist die URL, die ihr suchen könnt. Genau jetzt haben Sie es gerade schon angesprochen. Was leistet denn die Verbraucherzentrale genau?

Stephanie Wetzel Ja, man muss dazu sagen, das Projekt ist ein Gemeinschaftsprojekt der Verbraucherzentrale Bundesverband, des Dachverbandes der Verbraucherzentralen mit den Verbraucherzentralen der Bundesländer. Was leisten die Verbraucherzentralen? Sie sind ja Expertinnen und Experten für Verbraucherberatung und Verbraucherinformation. Wenn die Beschwerden bei uns eingehen, dann sichten die Mitarbeiter:innen die Beschwerden und schauen, ob das zum Thema des Portals potenziell täuschende Kennzeichnungen auf Lebensmitteletiketten oder in der Lebensmittelwerbung, zum Beispiel im Internethandel passt und prüfen das fachlich und schreiben dann auch eine Stellungnahme, wie sie zu der Beschwerde des Verbrauchers oder der Verbraucherinnen stehen.

Sophie Samrock Ok, und das finde ich dann auf dem Portal Lebensmittelklarheit.

Stephanie Wetzel Genau. Wir fragen natürlich auch die Anbieter, wenn solch ein Produkt gemeldet wird. Die Anbieter kommen auch zu Wort, die geben eine Stellungnahme ab. So hoffen wir, einfach zu einer, sage ich mal, vielseitigen Diskussion zum Thema Lebensmittelkennzeichnung und Lebensmitteletiketten zu kommen.

 

Sophie Samrock Okay, dann wissen wir auf jeden Fall jetzt schon, was die Verbraucherzentrale macht und sind damit eigentlich auch schon beim Thema der heutigen Folge. Es geht nämlich rund um das Thema Kennzeichnung von Lebensmitteln. Deshalb auch an Sie, Frau Wetzel, die Frage: Welche Rolle spielen denn die süßen Produkte auf dem Portal Lebensmittelklarheit?

 

Stephanie Wetzel Das Portal lebensmittelklarheit.de befasst sich natürlich mit allen Produkten im Lebensmittelbereich, also bei uns wird auch die Wurst gemeldet, wo vielleicht die Herkunft nicht eindeutig ist. Aber wir haben natürlich auch einige Anfragen zum Thema Süße. Es gibt so viele Begriffe, die man auch auf Lebensmitteln findet: Weniger süß, zuckerreduziert, zuckerarm und da sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher noch durchsteigen, wenn sie sich in Hektik im Supermarkt befinden. Da klären wir sie auf und helfen den Verbrauchern, durch den Dschungel gut durchzukommen.

Anja Roth Okay, hast du denn da ein Beispiel für? Vielleicht für ein Produkt, wo man, wo man sagt, da muss man auf jeden Fall immer genauer hinschauen, wenn man das auf dem Etikett liest oder was besonders häufig bei euch auf dem Portal erscheint.

Stephanie Wetzel Also es gibt jetzt nicht spezielle Produkte. Die Verbraucher stellen gerade beim Thema Süße oft Fragen und wir haben ja auch einen Expert:innenforum. Da können die Verbraucher einfach fragen, was sie zum Thema Kennzeichnung interessiert. Können sagen, ja, was ist denn nun eigentlich zuckerreduziert? Oder wenn ich da Maltodextrin auf dem Etikett finde, ist das denn auch ein Zucker? Das ist ja so ein Stoff, der Lebensmitteln zugesetzt wird. Der Ein-, Zweifach-, aber auch Vielfachzucker enthalten kann in unterschiedlichen Anteilen. So stellen wir dann Verbraucherinnen und Verbrauchern vor. Also wir sind sozusagen die Expertinnen, überwiegend weiblich oder nur weiblich in der Online-Redaktion. Deswegen sage ich das so. Wir erklären diese Begriffe und sagen ihnen auch, wie sie die Kennzeichnung oder die Zutatenliste zu verstehen haben und das hilft Verbrauchern natürlich sehr.

Anja Roth Ja, meinst du, wir können mal ein bisschen Klarheit reinbringen in diese süßen Claims, in diese Beschreibungen?

Stephanie Wetzel Ja genau. Ich glaube, damit tun wir allen Hörerinnen und Hörern im Podcast auch etwas Gutes.

Anja Roth Ja, und ich denke, es ist wirklich ziemlich komplex. Was heißt denn überhaupt ohne Zuckerzusatz, wenn auf einem Produkt draufsteht ohne Zuckerzusatz. Was heißt das denn?

Stephanie Wetzel Also das heißt erst mal, dass das Produkt natürlich trotzdem süß schmecken kann, aber es heißt, dass keine schnell verfügbaren, also schnell in das Blut einströmende Zucker wie Ein- und Zweifachzucker, so heißt es im Fachjargon, in dem Lebensmittel enthalten sein dürfen.

Anja Roth Also dieser normale Kristallzucker, weißer Zucker, wie wir ihn alle kennen.

Stephanie Wetzel Genau, zum Beispiel, der darf da nicht enthalten sein. Das heißt aber nicht, dass überhaupt kein Zucker irgendwelcher Art enthalten sein kann. Es geht hier wirklich nur um den Haushaltszucker im eigentlichen Sinne und dann natürlich auch vergleichbare Produkte, Mono- und Disaccharide, weil sie auch den Haushaltszucker ausmachen.

Anja Roth Ist das dann nur bezogen auf Zucker, der dann auch noch zusätzlich reingeschmissen wurde, sozusagen.

Stephanie Wetzel Es heißt ja ohne Zuckerzusatz.

Anja Roth Genau.

Stephanie Wetzel Dieser Wortteil ist wichtig. Das heißt, es kann durchaus auch noch Zucker enthalten sein. Es gibt ja auch viele Produkte, die von Natur aus einfach Zucker enthalten. Wenn ich mal an Obst denke, es hat von Natur aus Zucker. Es gibt ja auch Produkte wie Müsli, da sind Rosinen enthalten in der Rezeptur und natürlich trägt das dann zur allgemeinen Süße bei.

Anja Roth Ich glaube, ein typisches Beispiel ist auch so ein Apfelsaft. Da steht auch häufig drauf ohne Zuckerzusatz und dann staunen immer alle, dass da aber eigentlich ja doch Zucker drin ist aus den Äpfeln.

Stephanie Wetzel Deswegen sagen wir auch immer die Nähwerttabelle anschauen. Die Zutatenliste ist manchmal etwas kryptisch, weil manche Süßearten sich auch hinter recht anspruchsvollen Namen verbergen. Aber die Nährwerttabelle ist eigentlich eine ganz gute Richtschnur. Wie viel Zucker jetzt mal aus Verbrauchersicht, also wie viel Süße, egal welcher Art, ist im Produkt enthalten. Da muss man einfach genauer hinschauen und kann sich nicht allein auf diverse Begriffe auf der Vorderseite verlassen.

Anja Roth Wenn ich jetzt lese reduzierter Zuckergehalt, was heißt das für mich als Verbraucher?

Stephanie Wetzel Das heißt, dass der Gehalt an Zucker um 30 Prozent mindestens reduziert ist. Das heißt, das ist ein festgelegter Begriff und da kann ich mich tatsächlich dann auch verlassen darauf, dass der Zuckergehalt hier geringer ist.

Anja Roth Dann gibt es auch noch zuckerarm. Ist auch noch gesetzlich geregelt. Was heißt das?

Stephanie Wetzel Ja genau, das heißt, zum Beispiel alles unter 2,5 Gramm pro 100 Gramm oder pro 100 Milliliter darf sich zuckerarm nennen oder unter 5 Gramm Zucker, wenn es sich um feste Lebensmittel handelt. Da ist die Regel bei Getränken noch etwas strenger als jetzt bei festen Lebensmitteln.

Anja Roth Also da kann man auch sicher sein, dass das so eingehalten wird.

Stephanie Wetzel Genau, es gibt eine sogenannte Health Claim Verordnung. Das ist eine EU weite Verordnung und die legt fest, wann etwas mit welchen Begriffen werben darf. Werbebegriffe sind tatsächlich auch so sowas wie zuckerarm, zuckerreduziert. Deswegen sind da Grenzwerte festgelegt, damit es einfach auch vergleichbar ist, solche Begriffe, was findet man dann für Lebensmittel im Supermarkt.

Anja Roth Wenn jetzt zuckerfrei draufsteht, dann ist auch wirklich nichts an Zucker drin?

Stephanie Wetzel Ne, auch da darf noch ein Minimum, 0,5 Prozent an Zucker enthalten sein. Das zeigt eben, dass Lebensmittelrecht ist oft nicht mit der Verbrauchererwartung konform und deswegen hilft, immer nur auf die Nährwerttabelle schauen, nicht allein auf die Werbebegriffe schauen.

Sophie Samrock Wer kontrolliert denn eigentlich, ob sich die Industrie daran hält, an Ihre Werbeversprechen, sage ich jetzt mal. Gibt es da eine Institution?

Stephanie Wetzel Natürlich, erst mal ist es so, im Supermarkt müssen alle Lebensmittel gesetzeskonform gekennzeichnet werden und die amtliche Lebensmittelüberwachung in jeder Stadt, in jeder Region ist auch für die Kontrolle der rechtmäßigen Etiketten zuständig. Das heißt, wir haben Lebensmittelkontrolleure und Kontrolleurinnen. Die gehen in die Supermärkte und schauen sich dabei auch die Rechtmäßigkeit der Etiketten an.

Anja Roth Okay, jetzt ist ja so ganz beliebt geworden, drauf zu schreiben weniger süß. Was heißt denn das für mich als Verbraucher?

Stephanie Wetzel Das ist so ein bisschen Auslegungssache. Weniger süß kann als Geschmackshinweis verstanden werden. Aber man durchaus auch davon ausgehen, dass hier leicht Verwechslungsgefahr mit den Begriffen zuckerreduziert oder zuckerarm besteht. Das heißt, man kann den Begriff auch so interpretieren, dass er unter die Health Claim Verordnung fällt. Das heißt, auch hier sollten Unternehmen sehr vorsichtig mit dem Begriff umgehen, weil da einfach leicht eine Verwechslungsgefahr mit ganz offensichtlich in der Health Claim Verordnung definierten Begriffen steht. Weniger süß bedeutet auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wieder, lieber auf die Zutatenliste oder auf die Nährwerttabelle schauen. Denn da sieht man wie viel Zucker, aus Nährwertsicht, wie viel Ein- und Zweifachzucker auch wirklich enthalten sind.

Anja Roth Es gibt auch über Süßstoffe, das ist ja unser Thema heute, auch was zu sagen, was da draufstehen muss auf dem Etikett. Da gibt es dann den Hinweis mit bzw. ohne künstliche Süßungsmittel. Was versteht der Verbraucher oder was sollte er darunter verstehen? Oder was heißt das?

Stephanie Wetzel Das bezieht sich wirklich darauf, dass keine Süßstoffe zugesetzt sind. Süßstoffe sind ja Zusatzstoffe, die auch zugelassen werden und eine ganz definierte Stoffgruppe umfassen und natürlich betrifft so ein Zusatz dann auch nur diese Stoffgruppen.

Anja Roth Aber da steht ja Süßungsmittel. Wissen denn die Verbraucher, was ein Süßungsmittel ist? Das kann man ja leicht verwechseln.

Stephanie Wetzel Da sprichst du einen ganz wichtigen Punkt an. Wir haben in einer großen Studie gerade festgestellt, Süßungsmittel ist ein Begriff, den man eigentlich umschreiben müsste für die Verbraucherinnen und Verbraucher, weil Süßungsmittel wird von Verbrauchern ganz global verstanden. Das heißt, alles womit man süßen kann. Viele Verbraucher verstehen das unter Süßungsmittel. Aber lebensmittelrechtlich fallen nur die Zuckeraustauschstoffe und die Süßstoffe darunter. Das ist also ein Riesenunterschied. Das ist ein Problem, das wir in dieser Studie auch noch mal belegen konnten und wo wir auch sagen, man sollte den Begriff Süßungsmittel überdenken, damit er eher die Verbrauchererwartung erfüllt.

Anja Roth Ja, also wir sind auch nicht so glücklich mit diesem Begriff. Das ist erst seit 2014, dass das so geregelt ist.

Stephanie Wetzel Das ist eine Regelung, die eher zu einer Verschlimmbesserung geführt hat, wie man immer so sagt. Ja, da kann ich nur zustimmen, da sind wir auch unglücklich mit. Zumal die Studie so eindeutig zeigt, dass Süßungsmittel ein Begriff ist, der einfach aus Verbrauchersicht etwas ganz anderes bedeutet.

Anja Roth Ja, über die Studie wollen wir auf jeden Fall auch noch reden. Noch mal ganz kurz zu dieser Regelung. Also seit 2014 heißt es Süßungsmittel und man versteht darunter Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe. Das war ja so eine EU Harmonisierung vom Lebensmittelrecht. In Deutschland oder im deutschen Sprachgebrauch gibt es zwei Begriffe, in anderen Sprachen gibt es eben keine zwei Begriffe dafür. Das hat uns wirklich einfach eine Gesetzesänderung gebracht. Aber wir sind auch ständig in Erklärungsnot, um immer wieder zu erklären, was ist ein Süßstoff und was ist ein Zuckeraustauschstoff und ja das sind Süßungsmittel. Ich glaube, das führt auch zu viel Verwirrung, wenn das wirklich draufsteht. Das heißt, da habt ihr, glaube ich, in eurer Studie auch wirklich so gemacht. Ihr habt die Menschen gefragt, was verstehen Sie darunter, wenn da draufsteht ohne Süßungsmittel? Und dann kommen halt ganz andere Sachen zutage. Aber erzähl noch mal zu der Studie, was genau habt ihr denn da gemacht?

Stephanie Wetzel Also wir haben erst mal unheimlich viele Verbraucher befragt. Verbraucher haben an einem Online Panel, also die haben online am Computer an einer Studie teilgenommen und sie wurden befragt, über tausend Verbraucherinnen und Verbraucher über 16 Jahre, zum Thema, was wissen sie über diese Begriffe, die wir gerade auch schon erklärt haben und in einem zweiten Teil haben wir ihnen konkrete Produktebeispiele vorgelegt, wo solche Begriffe drauf stehen. Das waren anonymisierte Produkte, die es aber im Supermarkt auch wirklich gibt. Wir haben sie gefragt, wie verstehst du dieses Etikett? Da haben wir auch sehr interessante Ergebnisse herausgefunden, sowohl beim Wissenscheck als auch beim Thema, wie verstehen Sie ein Etikett.

Anja Roth Was waren so die wichtigsten Ergebnisse oder vielleicht auch die erstaunlichsten? Womit habt ihr nicht mitgerechnet? Gibt es da was?

Stephanie Wetzel Also uns hat erstaunt, wie sehr Zucker heute in Verruf geraten ist. In der Studie zeigte sich, dass 86 Prozent der Verbraucher, das ist unglaublich viel, der Auffassung sind, dass Zucker heute zu viel verwendet wird. Wir haben dann auch noch mal zu den verschiedenen Nährstoffen oder Zutaten in Lebensmitteln die Verbraucher positionieren lassen. Worauf achten sie beim Einkauf besonders? Was hat für sie negatives Image? Da zeigt sich gegenüber früheren Jahren, dass nicht mehr Fett der Bösewicht in der Ernährung ist, sondern dass von den Nährstoffen an Eiweiß, Fett, Salz oder auch Mikronährstoffe, dass tatsächlich Zucker jetzt der große Bösewicht geworden ist. Hier hat also tatsächlich ein Wechsel stattgefunden.

Anja Roth Ihr habt ja auch danach gefragt, was die Menschen überhaupt unter Zucker verstehen oder was darunter fällt. Also gibt es auch gute Zucker aus Sicht der Verbraucher?

Stephanie Wetzel Ja, und das war auch sehr interessant. Verbraucher können unheimlich stark für ein Lebensmittel gewonnen werden. Es erhöht ganz stark die Kaufbereitschaft, wenn es mit Natürlichkeit wirbt. Das heißt natürliche Süße, Süße nur aus Früchten. Das sind so Claims, wo Verbraucher denken, das ist ein grundsätzlich positives Lebensmittel. Also wer mit Natürlichkeit wirbt, egal ob es tatsächlich so ist oder wenn die Zuckerart sich positiv anhört, sage ich mal so was die Birkenzucker oder Stevia, also die ein natürliches Image haben. Solche Zucker oder solche Claims werden vom Verbraucher als Signal wahrgenommen, dass es sich um ein grundsätzlich gesünderes Lebensmittel handelt und das muss natürlich keinesfalls der Fall sein.

Anja Roth Ich glaube, das hat auch einen Namen, dieser Effekt: Halo Claims Effekt.

Stephanie Wetzel Ja genau, wir nennen ihn oder die Forschung nennt ihn den Health Halo Effekt. Helo heißt Heiligenschein und das heißt, wenn so ein Spruch, Süße aus Früchten zum Beispiel, ein Spruch ist jetzt sehr salopp ausgedrückt, wenn solch ein Claim auf Lebensmitteln draufsteht, auf den Verpackungen, dann bekommt das gesamte Lebensmittel einen Heiligenschein. Also das heißt, es ist gesünder, es ist kalorienarm, es erfüllt alle günstigen Eigenschaften für Verbraucherinnen und Verbraucher und da muss man sehr, sehr vorsichtig sein, tatsächlich, dass man diesem Irrglauben nicht aufsitzt, sondern wieder, ich kann es nicht oft genug wiederholen, auf die Nährwerttabelle achten.

Anja Roth ja, ich glaube, da sind wir auch alle nicht wirklich vor sicher, dass wir dem erliegen, diesem Heiligenscheineffekt.

Stephanie Wetzel Ja, das hört sich toll an und Natürlichkeit ist ja etwas, was wirklich immer kostbarer wird in unserer heutigen Zeit. Ich glaube, das führt auch dazu, dass Lebensmittel, die damit werben, einfach als die Guten schlechthin wahrgenommen werden.

Anja Roth Ja, das ist sicher ein Punkt, der dann natürlich auch dazu führt, dass wenn irgendwo draufsteht, ohne künstliche Süßungsmittel, dass die Menschen das eher als negativ empfinden. Quatsch als positiv. Andersherum, wenn ohne drauf steht empfinden sie es als positiv. Das ist bei mir jetzt auch schon so weit.

Stephanie Wetzel Ja, genau. Es ist auch so generell. Im Portal lebensmittelklarheit.de stellen wir das ganz viel fest, dass die Verbraucher sehr stark achten auf Clean Claims. Also sage ich mal Claims, die einen Genuss ohne Reue versprechen, die sagen, wenn du dieses Lebensmittel konsumiert, dann bekommst du weniger Zucker, kein Zucker. Das Lebensmittel hat einfach nur Gutes. Du isst clean, du isst sauber damit. Dass das dann manchmal aber aus lebensmittelrechtlicher Sicht gar nicht so definiert ist und damit von den Anbietern auch nicht so eingehalten werden muss, das wird erst beim Blick auf die Zutatenliste zum Beispiel deutlich.

Anja Roth Süßstoffe haben jetzt eigentlich eher Vorteile gegenüber dem Zucker. Also würden wir jetzt mal so sagen.

Stephanie Wetzel Genau der Kaloriengehalt ist auf jeden Fall praktisch gleich Null.

Anja Roth Ja, aber es wird, wie du schon sagst, über den Clean Claims wieder anders suggeriert. Aber was sind jetzt eure Vorschläge? Was sagt die Verbraucherzentrale jetzt? Was können wir ändern, dass der Verbraucher doch besser aufgeklärt ist. Also ich sage mal, wir das ja eben im Schnelldurchgang besprochen, aber da muss man ja schon ein halbes Studium für ablegen, um diese Claims alle auseinanderhalten zu können. Was schlägt die Verbraucherzentrale vor? Wie kriegt man das besser hin?

 

Stephanie Wetzel Ja, also ich denke, auf jeden Fall sollten das deutsche Wording des Begriffs Süßungsmittel sollte überdacht werden, weil es hat einfach keinen Sinn, wenn Verbraucher rechtskonform mit Begriffen konfrontiert werden, die sie nur missverstehen können. Da sollte tatsächlich dann, das ist unser Appell eben auch an rechtsetzende Gremien, über ein Rewording nachgedacht werden. Dann finden wir es auch gut, wenn die Anbieter auch sehr sorgsam mit Claims auf Lebensmitteln umgehen. Das heißt, wenn ich schreibe, weniger süß, dann wäre es günstig für die Verbraucher, wenn gleich im selben Sichtfeld auch stehen würde, was das genau bedeutet bei diesem Lebensmittel. Das ist generell eine Forderung, die der vzbv im Rahmen des Projekts lebensmittelklarheit.de aufstellt, immer klar sein auf der Schauseite. Das heißt, wenn ich was behaupte, sollte ich es auch so klar behaupten, dass keine Missverständnisse aufkommen können. Das ist wieder so eine Art Kodex, den wir den Anbietern vorschlagen.

Anja Roth Aber das stelle ich mir jetzt irre schwer vor. Gerade bei so einem Claim wie weniger süß. Also da müsste man ja so eine Skala hin machen.

Sophie Samrock Meistens ist ja gar nicht so viel Platz auf dem Etikett.

Stephanie Wetzel Na, weniger süß, wenn man zum Beispiel dann den konkreten Zuckergehalt einfach vorne draufdruckt, dann wäre da schon klar, was weniger süß in diesem Fall heißt. Also das heißt, Auszüge der Nährwerttabelle einfach dazu packen oder die Süßequelle, mit so und so viel Prozent von dieser Süßequelle. Ich glaube, dass dafür immer Platz ist und wir sind auch der Auffassung, dass lieber weniger Claims benutzt werden sollten, wenn man keinen Platz hat, diese Claims zu erklären.

Anja Roth Okay, dann hoffen wir, dass der Appell gehört wird von euch.

Sophie Samrock Ja, wäre auf jeden Fall wünschenswert. Ich hätte noch eine kurze Rückfrage zu den Süßungsmitteln, wenn Sie sagen, Sie würden sich wünschen, dass das anders bezeichnet wird. Gibt es da schon Vorschläge oder würden Sie einfach sagen so wie vor 2014, dass man das wieder klar differenziert? Das sind Süßstoffe, Zuckeraustauschstoffe.

Stephanie Wetzel Wir gelangen immer mehr zu der Erkenntnis, dass wir bei solchen Fragen nach einem verbraucherverständlichen Wording, den Verbraucher selbst befragen sollten. Das heißt, ein evidenzbasiertes Wording einzuführen. Bei uns im vzbv Wissenschaft wird sehr großgeschrieben. Wir führen zahlreiche und geben zahlreiche Studien repräsentative Studien in Auftrag und ich denke so sollte man an diese Begriffsfindung herangehen. Nicht, indem wir Verbraucherschützer uns etwas ausdenken, sondern indem erst mal Evidenz geschaffen wird. Evidenz haben wir jetzt dafür, dass dieser Begriff nicht gut verstanden wird. Aber es sollte eben auch Evidenz für eine Alternative da sein. Was verstehen Verbraucher richtig? Es ist ja kein Problem, solche Studien auch in Gang zu setzen.

Sophie Samrock Genau, diese aktuelle Studie, das noch als Hinweis für unsere Hörerinnen und Hörer ist ganz aktuell aus dem April 2021. Wir packen euch auf jeden Fall auch den Link in die Shownotes, dann könnt ihr euch das noch mal genau durchlesen.

Stephanie Wetzel Genau das sind 170 Charts, wenn man das Chartbook nimmt. Da kann man also eine Menge lesen und findet sich vielleicht auch in einigen Charts sogar selbst wieder, weil man auch Dinge bisher so und so verstanden hat. Ich finde es eigentlich auch für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht uninteressant und für Fachleute sowieso.

Sophie Samrock Auf jeden Fall. Ich glaube, Sie haben auch noch eine kleine Zusammenfassung auf die Website gestellt.

Stephanie Wetzel Genau, denn wir wollen ja den Verbraucher nicht Angst machen. Es gibt auch noch einen zusammenfassenden Bericht.

Sophie Samrock Neben den vielen Angaben, die sich auf dem Etikett befinden, empfiehlt es sich immer auf die Nährwert Tabelle zu schauen und sich im Zweifel bei der Verbraucherzentrale bzw. unter lebensmittelklarheit.de Punkte zu informieren. Außerdem gilt, weniger süß, heißt nicht gleich weniger Kalorien. Dieses Phänomen, dass dem Verbraucher einen positiven Gesundheitseffekt suggeriert, wird als Health Halo Effekt bezeichnet und der Appell an die Industrie wäre, weniger Claims zu verwenden und dafür konkrete Fakten im Hauptsichtfeld des Produkts zu zeigen. Das trifft vor allem auf Begriffe rund um das Thema Süße zu. Ja, das war unser Faktencheck und damit sind wir auch am Ende unserer Folge angekommen. Frau Wetzel, noch mal ganz herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns zu Gast waren, und dann würden wir uns freuen, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder einschaltet. Bis dahin, tschüss.

Anja Roth Tschüss!

Stephanie Wetzel Tschüss!