Folge #10: Adipositas: Was ist das eigentlich?

Zu Gast: Christel Moll, erste Vorsitzende des Adipositas Verband Deutschland e.V

In der neusten Folge von “so! was? süßes.” haben wir mit Christel Moll zum Thema Adipositas gesprochen – dabei kamen einige interessante Fakten auf den Tisch und wir konnten mit einigen Vorurteilen gegenüber adipösen Menschen aufräumen! Die erste Vorsitzende des Adipositas Verband Deutschland e.V. berichtet zum Beispiel davon, dass Adipositas erst seit sehr kurzer Zeit eine anerkannte Krankheit ist – kaum zu glauben, oder? Falls ihr euch für weitere Facts rund um das Thema Adipositas interessiert und wissen wollt, was Betroffene bewegt, dann hört unbedingt in unsere neuste Podcastfolge!

All das erfahrt ihr in der aktuellen Folge unseres neuen Podcasts zu süßer Ernährung.

Viel Spaß beim Hören.

Transkription der Folge:

Sophie Samrock Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge „so! was? süßes.“ dem Podcast rund um das Thema süße Ernährung. Mein Name ist Sophie Samrock. Mit mir im Studio ist heute wieder unsere Ernährungs- und Süßeexpertin Anja Roth. Hi Anja!

Anja Roth Hallo Sophie!

Sophie Samrock Außerdem haben wir auch heute einen Gast zugeschaltet. Herzlich willkommen, Frau Moll.

Christel Moll Ja, Hallo!

Sophie Samrock Hallo, Frau Moll, sie sind erste Vorsitzende des Adipositas Verband in Deutschland und weil Adipositas das Thema unserer heutigen Folge ist, haben wir Sie Frau mal als Expertin eingeladen. Bevor wir starten, können Sie sich und Ihren Verband vielleicht einmal für unsere Hörerinnen und Hörer vorstellen.

Christel Moll Ja, mein Name ist Christel Moll. Ich leite an Adipositas Verband fast durchgehend seit 2006. Wir kümmern uns um adipöse, sprich übergewichtige Menschen, die Hilfe suchen, Behandlungen bzw. Therapien suchen und treten an vorderster Front für diese ein. Wir wollen mit Vorurteilen abrechnen. Wir kümmern uns um Selbsthilfegruppen und noch ganz vieles mehr.

Sophie Samrock Okay, was genau sie da machen, darauf kommen wir auch noch mal genauer in der Folge. Sie und Anja Roth, Sie kennen sich ja auch schon eine ganze Weile.

Anja Roth Ja, genau. Die Christel und ich, wir treffen uns schon seit vielen Jahren immer wieder auf Kongressen und Fachtagungen. Und da erlebe ich das eben auch, wie mit wie viel Engagement sie das Thema auch besetzt, auf jeden Fall.

Sophie Samrock Dann würde ich sagen, steigen wir auch direkt in die Thematik ein. Anja, kannst du vielleicht zu Beginn einmal erklären, was ist überhaupt Adipositas?

Anja Roth Also von Adipositas spricht man bei schwerem Übergewicht. Eigentlich ist es die Steigerung von Übergewicht. Man berechnet das sozusagen nach dem Body-Mass-Index (BMI), auch wenn der natürlich seine Tücken hat. Aber wir wollen jetzt hier gar nicht diskutieren. Den Body-Mass-Index, den berechnet man durch das Gewicht, geteilt durch die Größe zum Quadrat. Also das rechnet man wahrscheinlich nicht so gerade im Kopf. Und wenn man einen BMI von 25 bis 30 hat, beim Erwachsenen, spricht man von Übergewicht. Und wenn er über 30 liegt, dann spricht man von Adipositas. Und darüber hinaus gibt es dann auch noch Adipositas, grad zwei und darüber hinaus. Und das ist halt so die die Einteilung, die man da erst mal vornimmt.

Sophie Samrock Okay. Und wie viele Leute sind in Deutschland adipös?

Anja Roth Also es sind ungefähr zwei Drittel der Männer und eine die Hälfte der Frauen sind übergewichtig und ein Viertel der Erwachsenen ist aber stark übergewichtig, also wirklich adipös.

Sophie Samrock Okay, weißt du auch, wie das bei den Kindern aussieht?

Anja Roth Ja, bei Kindern und Jugendlichen, also zwischen 3 und 17 Jahren weiß man das zu 9,5 Prozent ungefähr übergewichtig sind und 6 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind adipös.

Sophie Samrock Okay. Und wie liegt da Deutschland so im Ländervergleich?

Anja Roth Also im internationalen Vergleich, so weltweit, habe ich natürlich gegoogelt, wusste ich natürlich auch nicht auswendig, da Deutschland auf Platz 94. Die USA liegen auf Platz 18, also da sind wir ein bisschen noch davon weg. Und was ist vielleicht noch interessant. United Kingdom (UK), auf 32.

Sophie Samrock Also im europäischen Vergleich sind wir eher weiter hinten

Anja Roth Das ist glaube ich schon nicht schlecht die Platzierung. Christel, was hat dich denn dazu bewogen, überhaupt in dem Verband aktiv zu werden?

Christel Moll Ja, das war meine eigene Geschichte. Ich bin seit meiner Pubertät übergewichtig, immer wieder mit steigender Tendenz. Der Jo-Jo-Effekt hat mich immer wieder besucht. Ich habe mein Leben lang Diät gemacht, immer wieder abgenommen, ganz viele Kilos. Ich glaube, ich habe hunderte Kilos in meinem Leben abgenommen, aber auch alle wieder zugenommen. Und das hat mich bewogen, da ich keine Hilfe von Fachleuten bekam oder nicht gefunden habe, hier selbst tätig zu werden, um mir die Hilfe zu suchen. Und dadurch, dass ich dann auch ein paar gefunden habe, die sich auch mit diesem Thema beschäftigen wollten, wollten wir diese Erkenntnisse natürlich auch weitergeben. Und so haben wir dann Selbsthilfegruppen zum Austausch, zum Erfahrungsaustausch gegründet.

Anja Roth Sind das denn viele, die da Hilfe suchen? Also ist das direkt gut angekommen, solche Selbsthilfegruppen?

Christel Moll Es ist ein richtiger Boom geworden. Also es hat sich auf wenige Städte am Anfang konzentriert. Ich war ja bzw. bin hier in Nordrhein-Westfalen ansässig. Wir haben in Dinslaken angefangen und da waren an einem Abend 120 Leute da. Die sind teilweise aus 150 Kilometer Entfernung angefahren gekommen, weil es sonst keine Treppen gab. Dann haben wir angefangen, als Vorband diese Treffen extern in diese Städte zu verlagern. Macht ja kein Sinn, dass alle nach Dinslaken fahren. Wir haben dann in den verschiedenen Orten Gruppen gegründet. Das boomt nach wie vor. Ja, es wird immer mehr. Inzwischen betreuen wir über den Adipositas Verband mehr wie 200 Selbsthilfegruppen bundesweit.

Anja Roth Das ist echt viel. Und kommen denn die Menschen da auch genau mit diesen Problemen hin, sage ich mal hin, wie du sie vielleicht erlebt hast? Das sie keine Hilfe finden und oder nicht weiter wissen?

Christel Moll Ja, schon nicht ganz so, wie ich das vor Jahren noch war, weil da musste ich wirklich punktuell in Deutschland suchen. Inzwischen gibt es Adipositaszentren, die ihre Hilfe anbieten. Das größte Problem, was wir haben, sind die Patienten selbst, die Betroffenen selbst, weil sie müssen erst mal aus ihrer eigenen Schuldfrage raus, müssen sich trauen, sich Hilfe zu holen. Das ist der Knackpunkt, weil es kommt immer der Spruch: Ich habe mir das selbst angegessen also muss ich da auch selbst wieder raus.

Anja Roth Also Vorurteile auch, mit denen man zu kämpfen hat. Ich glaube, die Vorurteile kennen wir wahrscheinlich alle. Aber ich glaube, es wird doch deutlich unterschätzt, wie man auch die Menschen verletzt mit diesen Vorurteilen. Es ist ja wirklich eine Stigmatisierung. Ich glaube als Übergewichtiger wird man schon komisch angeguckt, wenn man in der Eisdiele sitzt, oder?

Christel Moll Aber 100 Prozent, nicht nur in der Eisdiele, überall ist das so. Auch im Schwimmbad oder im Alltag, im Beruf, überall ist es so, die Vorurteile kommen immer wieder. Von wegen oft krank, undiszipliniert, faul, nicht leistungsfähig und und und. Aber auch unsere Leute selbst haben ja noch den Knackpunkt, dass sie sich diese Schuldfrage immer wieder stellen. Und da müssen wir endlich raus. Und dann müssen wir die Leute soweit bringen, dass sie auch alle die Hilfen, die es inzwischen durchaus gibt – die leider nicht bezahlt werden – aber es gibt trotzdem Anlaufstellen. Das man die auch in Anspruch nimmt.

Anja Roth Okay, also ihr müsst erst mal die übergewichtigen Menschen von ihrer eigenen Stigmatisierung befreien, also die da wirklich rausholen aus dieser Krise sozusagen.

Christel Moll So ist es. Dafür haben wir im Moment auch eine Kampagne gestartet, die heißt „Dick und Du“, ist auch im Internet zu finden, wo vier von unseren Betroffenen sich bereit erklärt haben, ihre Geschichten zu erzählen. Und wir wollen nicht nur in unsere Leute selbst, sondern auch den Behandler und die Gesellschaft darauf aufmerksam machen, was solche Stigmatisierungen den Menschen antun.

Anja Roth Ja, ich habe mir da auch schon die eine oder andere Folge von angeguckt. Das ist wirklich wahnsinnig mutig, was die da machen. Und auch irre interessant auf jeden Fall. Also wirklich zu empfehlen. Aber wie sieht es jetzt wirklich so im Alltag aus? Wie beeinträchtigt das einen denn, wenn man adipös ist?

Christel Moll Also die körperlichen Einschränkungen kommen je nach Gewicht? Bei einem mehr, beim anderen weniger. Es gibt Menschen mit 200 Kilo, die sind topfit. Ja, es gibt aber auch Menschen mit 120 Kilo, die können keinen Kilometer mehr laufen. Oder die körperlichen Einschränkungen im Beruf. Wir haben eine sehr hohe Rate in den Pflegeberufen ausgerechnet, die körperlich arbeiten müssen und damit an ihre Grenzen kommen. Zum Beispiel. Aber auch das Gesellschaftliche im Job, im Beruf ist genau das Gleiche. Wenn ihr das verfolgt, in den Medien oder auch in den Berufen schaut, wenn eine Bewerbung geschrieben wird und da ist jemand mit Übergewicht auf dem Foto und dann die kleine hübsche Blondine, sage ich jetzt einfach mal ganz frech, dann ratet mal, wer meistens genommen wird. Es wird natürlich nicht zugegeben, ganz klar ja, aber es gehört schon dazu. Und warum dürfen Beamte keinen BMI über 35 haben? Sind sie deswegen nicht leistungsfähig? Beamtenstatus bekommt man nur unter einem gewissen BMI. Auch das ist eine Diskriminierung.

Anja Roth Ja, auf jeden Fall. Man sagt ja auch immer, es gibt Folgekrankheiten, die aus Adipositas entstehen können.

Christel Moll Ja, es ist sogar als Fakt, dass es mehr wie 60 Folgekrankheiten gibt, die alle therapiert werden. Und da zahlt auch jede Kasse, jedes Blutdruckmittel, jede Herzinfarkt Therapie, egal was passiert, Diabetes Therapie ist überhaupt kein Thema mehr, aber die Ursache, die eventuell diese Nebenerkrankung verursacht hat, die wird nicht behandelt. Das wird nicht von den Kassen bezahlt. Und da haben wir ja einen Riesenschritt gemacht jetzt im letzten Jahr.

Sophie Samrock Was war da ganz genau?

Anja Roth Erzähl! (schmunzelt)

Christel Moll Im letzten Jahr wurde durch den Bundestag Adipositas als Krankheit anerkannt.

Sophie Samrock Okay. Erst letztes Jahr?

Christel Moll Deutschland war eines der Länder, das Adipositas nicht als Krankheit anerkannt hatte, wie die WHO das vorschlägt. Und im Juli letztes Jahr, im Zuge der Diabetes Therapie wurde auch Adipositas als Krankheit anerkannt. Jetzt ist es zwar Krankheit, aber es gibt keine Therapien, die von Kassen bezahlt werden.

Anja Roth Aber da soll jetzt ein Disease-Management-Programm (DMP), wie es das auch für die Diabetiker gibt, auch aus dem Boden gestampft werden. Oder? Diese Programme, die dann in der Hausarztpraxis – erkläre ich jetzt noch mal kurz den Zuhörenden – angeboten werden, wo man dann eingeschrieben werden kann. Ja, aber ich kenne es eben auch aus meiner Sicht. Aus der Ernährungsberatungspraxis ist es wahnsinnig schwierig, von den Krankenkassen Gelder für Ernährungstherapien zu bekommen. Das ist immer noch ein Problem.

Christel Moll Diese Programme jetzt, die werden grad geschaffen in verschiedenen Gremien und es ist Gott sei Dank jetzt so, dass wir als Patientenverband da mitarbeiten dürfen. Die Patienten werden gefragt. Auch das ist eine Premiere, dass bei solchen Angeboten und Therapiewegen die Betroffenen mitbefragt werden und alle Selbsthilfeverbände im Thema Adipositas dürfen da ihre Meinung dazu äußern und mitarbeiten und das tun wir.

Anja Roth Ja super. Also da drücke ich euch auch alle Daumen, dass ihr da auch richtig gut durchkommt mit euren Anliegen.

Christel Moll Dankeschön!

Anja Roth Ich weiß, dass du auf Facebook so eine geschlossene Gruppe hast. Was sind da so die meisten Themen? Was wird da am meisten angesprochen?

Christel Moll Das ist total unterschiedlich. Also da wird auch über den Alltag gesprochen, da wird über verschiedene Zentren, über Adipositas Therapien gesprochen, da wird auch über Vorurteile gesprochen. Es wird ganz, ganz viel über Ernährung gesprochen. Gesunde Ernährung und Ernährung zur Gewichtsreduzierung. Es wird aber auch die Erfahrung der Behandler ausgetauscht. Also welche Ernährungsberatung fehlt mir zu was? Wie ist das bei dir? Wie ist es bei mir und wie geht jeder einzelne damit um?

Anja Roth Die Selbsthilfegruppen in Präsenz sind ja jetzt gerade im Moment bedingt durch Corona nicht so möglich. Glaubst du so eine Facebook-Gruppe kann die Selbsthilfegruppe in Präsenz ersetzen? Oder ist das noch mal was anderes, wenn ihr euch in Präsenz trefft?

Christel Moll Nein! Definitiv kann die das nicht ersetzen. Die Selbsthilfegruppe treffen sich zurzeit online in geschlossenen Räumen. Wir als Patientenverband stellen die Medien zur Verfügung, damit die Gruppen in geschlossenen Räumen über ihre Probleme sprechen können. Weil das was in Facebook und Co besprochen wird, können nur allgemeine Dinge sein. Aber dort wird niemals ein Betroffener von seiner privaten Erkrankungsproblemen sprechen. Das ist noch mal was viel Intimeres und viel wichtigeres um das in der Öffentlichkeit zu besprechen. Ja es ist eine geschlossene Gruppe in Facebook, aber sorry, wir kennen Facebook. Was ist in Facebook schon geschlossen?

Sophie Samrock Ja und das hat vielleicht auch nicht jeder Facebook.

Christel Moll Gut, wir sind auch auf Instagram und auf LinkedIn. Wir sind überall. Wir sind da multimedial aufgetreten und man findet uns überall, wo man uns finden will.

Anja Roth Ja, aber ich glaube über diese Gespräche, Auge in Auge sozusagen. Da geht halt einfach nichts drüber.

Christel Moll Das ist richtig. Diese persönliche Schiene fehlt komplett und wir freuen uns, wenn die Werte jetzt bald wieder sinken, dass wir bald uns vielleicht wieder treffen dürfen. Das es ist nicht nur ein reiner Informationsaustausch ist, sondern tatsächlich auch persönliche Dinge besprochen werden können.

Anja Roth Welchen Tipp würdest du anderen Betroffenen geben, die jetzt wirklich Probleme haben? Fragen haben, sich informieren wollen. Was wäre der erste Tipp, den du jemandem geben würdest?

Christel Moll Der erste Tipp ist es schon mal, dass keiner damit alleine fertig werden muss. Jeder kann sich Hilfe holen in verschiedenen Zentren, Stellen, Einrichtungen. Auch bei den Verbänden, in den Selbsthilfegruppen. Sich einfach trauen, dahin zu gehen. Wir wollen den Rücken stärken, dass jeder das Recht hat, auch eine Therapie zu bekommen und geholfen zu bekommen. Wir wollen Motivation geben, wir wollen aber auch und das ist im Moment ein Zeitalter, wo wir besonders drauf achten, vor Scharlatanen warnen, weil die Industrie hat die Adipositas Betroffenen entdeckt und versucht jetzt, da echt Dinge zu verkaufen, die nicht wirklich Sinn machen.

Anja Roth Ja, ja, aber die gab es schon immer, diese Wundermittel, oder?

Christel Moll Richtig!

Anja Roth Ich fand „mal so schön“: Ich habe mal von Einlegesolen für die Schuhe gelesen, mit denen sollte man abnehmen, aber nur wenn man jeden Tag 10 Kilometer darauf läuft. Ja ernsthaft!

Christel Moll Da brauche ich die Sohlen nicht mehr!

Anja Roth Ja, aber die waren für teuer Geld, da läufst du dann vielleicht auch die 10 Kilometer. Wenn wir jetzt schon bei den Selbsthilfegruppen sind und den Themen, die da besprochen werden, sind denn da auch Süßstoffe ein Thema? Also ist das ein Thema bei euch? Redet ihr darüber?

Christel Moll Ja, weil das nämlich auch zum Thema Ernährung gehört. Ja, das ist ja oft sogar ein Thema, weil wir haben ein hohes Klientel an Adipositasbetroffenen, die auch eine Magenoperation noch machen lassen oder anstreben. Und da ist die Ernährung noch mal eine andere wie ohne Magenoperation. Und die Süßstoffe spielen in jedem Leben eine große Rolle. Zum Beispiel bei Lightgetränken. Es ist immer wieder Thema. Immer wieder neu.

Anja Roth Was sind da die Fragen, die da aufkommen?

Christel Moll Die erste Frage ist immer: Stimmt es denn, dass man keinen Süßstoff mehr verwenden darf? Darf ich keine Cola light mehr trinken? Darf ich keine Light-Limonade mehr trinken? Darf ich den Süßstoff nicht mehr in meinen Kaffee machen? Süßstoff soll dick machen. Süßstoff soll den Insulinspiegel hochtreiben. Süßstoff verursacht Hunger auf noch mehr Süßes. Das sind so die allgemeinen Dinge, wo ich selbst weiß, dass es Mythen sind. Ich nutze nämlich Süßstoff schon mein Leben lang. Und deswegen bin ich da immer sehr traurig darüber, dass selbst Fachleute das immer noch so sagen, obwohl es Gegenargumente und Studien dagegen gibt. Stimmt Anja oder? Da haben wir schon oft darüber gesprochen.

Anja Roth Ja, ganz ehrlich. Deswegen triffst du mich ja auch immer auf den Fachtagungen, weil ich da eben auch versuche, die Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen. Ist mir auch schon bei vielen gelungen, aber bei weitem noch nicht bei allen. Und wir arbeiten weiter dran, gegen die Mythen anzugehen. Also gerade so bei dem Argument: Süßstoffe machen dick, da würde ich gerne mal einhaken. Also ich glaube, da sind wir uns einig, dass sie das wahrscheinlich eher nicht tun. Also sie haben keine Kalorien, werden wahrscheinlich auch nicht dick machen, wie der Mythos immer da heißt. Aber warum werden denn die Leute überhaupt dick? Hast du da eine Idee? Kannst du da was zu sagen? Was sind Gründe dafür, dass jemand wirklich übergewichtig wird? Oder sogar adipös.

Christel Moll Früher hätte ich einfach gesagt, weil wir alle zu viel essen. Aber das stimmt ja nicht. Ja, das stimmt ja nicht. Es ist so, dass jeder Körper Energie einspeichern kann in Form von Fett. Die einen verwerten das besser. Da bleibt nichts angebaut. Bei anderen setzt sich alles fest. Wie dieser berühmte Spruch: Ich schau die Schokolade nur an und ich werde dicker. Ich bin auch so jemand. Mehr als die Hälfte meiner Geschwister sind übergewichtig und vier sind schlank. Ja, die vier kommen nach dem Papa und die anderen kommen nach der Mama.

Anja Roth Also da ist durchaus auch ein genetischer Faktor dabei?

Christel Moll Richtig! Und es liegt wirklich am Körper, wie das verarbeitet wird. Der eine packt es besser, der andere packt es nicht besser und die einen müssen ewig hungern und die anderen, die können sich leisten, was sie wollen. Und das ist meines Erachtens genetisch vorbestimmt. Ist auch schon erwiesen. Ich kann mich aber die Studie nicht nennen, dafür bin ich auch nicht da. Aber dieses Schuldzugeständnis, das ist natürlich auch immer schon ein Problem. Ich denke wir haben keine Schuld. Jeder bringt was mit. Damit muss man lernen umzugehen. Der eine schafft es ganz leicht und der andere muss ein Leben lang kämpfen.

Sophie Samrock Also ist es bei den meisten tatsächlich so, dass es schon im Kindesalter anfängt oder dass sie von Kind an Probleme damit haben?

Christel Moll Ich weiß nicht, ob es da Statistiken gibt. Also den meisten Frauen, die ich kenne, da fängt es in der Pubertät an. Ich meine auch mal einen Bericht gelesen zu haben: Wer bis zum Alter von 12 Jahren schlank war, der bleibt es auch. Aber ob das stimmt? Ist wahrscheinlich auch ein Mythos.

Anja Roth Also ich denke auch das Thema Übergewicht oder Adipositas ist einfach wirklich sehr facettenreich. Also es gibt sicher auch diejenigen, die einfach sich zu wenig bewegen und zu viel essen. Die wird es auch geben, die aber das dann auch wieder kompensiert bekommen mit mehr Bewegung und weniger Essen. Ja, aber das sind ja meistens nicht die, die jetzt bei euch in den Selbsthilfegruppen sitzen. Sage ich mal, die haben ja wirklich meistens schon alles Mögliche ausprobiert. Und das sind eben nicht die, die unbedingt jetzt sagen: Na ja, wenn ich jetzt 5 Kilo abnehmen will, dann hunger ich jetzt halt mal ein bisschen oder beweg mich ein bisschen mehr und dann ist das alles wieder gut und bleibt dann auch so..

Christel Moll Die Studien sagen ja auch: Abnehmen können wir alle. Das Halten ist dann das Problem. Jede Ernährungsumstellung, die in eine extreme Richtung geht – für mich ist jede Diät extrem, weil es keine normale Ernährung – die beendet wird, dann kommt das auf Fall: Der Körper geht immer wieder zu seinem Ausgangsgewicht zurück und setzt nochmal ein bisschen drauf. Und das ist ein Phänomen, was meines Erachtens noch nicht richtig untersucht ist. Warum ist das so?

Anja Roth Also ich glaube auch da gibt es noch ganz viel rauszufinden. Was relativ sicher ist, dass die Süßstoff alleine nicht dick machen. Also ich glaube, das können wir beide unterschreiben, oder Christel?

Christel Moll Ich auf jeden Fall!

Anja Roth Ja, weil da sind einfach viel mehr Faktoren, die da eine Rolle spielen. Meinst du denn, dass er Hunger macht? Macht Süßstoff hungrig? Weil das hört man ja auch immer wieder: Wenn du Süßstoff benutzt, dann hast du immer noch mehr Hunger. Hast du da so eine Erfahrung gemacht?

Christel Moll Nee, da müsste ich den ganzen Tag Hunger haben, weil ich alle meine Getränke, sowohl Tee als auch Kaffee mit Süßstoffen süße. Ich trinke beides mit Süßstoff und dann müsste ich wirklich von morgens bis abends Hunger haben. Ich habe ein richtiges Hungergefühl. Mir knurrt schon der Magen. Viele sagen ja, ich habe gar kein Hungergefühl, aber ich habe das schon. Und das müsste ich dann ja nach jeder Tasse Kaffee haben. Das ist Quatsch. Meine Kollegin, die meines Erachtens Cola light süchtig ist, ja, die müsste den ganzen Tag Hunger haben. Kann nicht sein.

Anja Roth Ja, aber das ist doch schön, dass wir das jetzt auch mal von jemandem gehört haben, der nicht vom Süßstoffverband ist. Nein, sehr schön. Ich denke mal, da sind wir uns auch einig. Also das sind ja auch diese ganzen Mythen, die wir auch in anderen Folgen hier in unserem Podcast aufgreifen und noch mal genauer darüber sprechen, wo die überhaupt herkommen und was da was dahinter steckt.

Sophie Samrock Richtig! Ja, ich glaube, dann haben wir schon einen sehr guten Einblick in dieses Thema bekommen und danken Ihnen ganz herzlich, dass Sie uns hier bereichert haben mit Ihren Erfahrungen und auch rund um Ihren Verband erzählt haben. Und genau, Anja, möchtest du noch was ergänzen?

Anja Roth Nein, ich bedanke mich auch für den Input, den du geliefert hast und vielleicht kannst du noch ganz kurz was sagen, wie man euch am besten erreicht, wenn man jetzt Lust bekommen hat, auch in eine Selbsthilfegruppe zu kommen oder Kontakt mit dem Verband aufzunehmen. Wie erreicht man euch am besten?

Christel Moll Das einfachste ist, über die Webseite www.adipositasverband.de. Da findet man uns. Oder ganz neu über www.adipositas-spezialisten.de. Auf dieser Webseite sind alle Zentren, Ärzte, Ökotrophologen und so weiter … also sollen noch drauf, es sind noch nicht alle …

Anja Roth Ich noch nicht … (lacht)

Christel Moll Ja, das ist neu gestartet. Wir versuchen da alle Kliniken und Praxen, die auf Adipositas auch eingerichtet sind, darauf zu sammeln, damit die Leute ihre Ansprechpartner finden. Und darauf sind auch die Verbände zu finden, auch der Adipositas Verband. Mit einem Link und auf unserer Webseite ist ein Postleitzahl-Verzeichnis aller Selbsthilfegruppen. Da kann man seine Stadt eingeben und kriegt in 100 km Umgebung alle Gruppen angezeigt mit Kontaktdaten.

Sophie Samrock Ja, das ist ja super. Genau, das als Tipp. Und Sie meinten ja auch, sie sind auf Social Media fast überall vertreten, richtig?

Christel Moll Richtig. Ganz genau so ist. Überall. Adipositas Verband Deutschland e.V. ist zu finden oder ich persönlich unter meinem Namen Christel Moll.

Sophie Samrock Ja und nun zu unserem Faktencheck. Fakt 1: Adipositas hat viele verschiedene Facetten. Es gibt nicht eine Ursache dafür. Fakt 2: Wenn ihr von Adipositas betroffen seid oder jemanden kennt, der betroffen ist, müsst ihr euch nicht alleine gelassen fühlen. Es gibt verschiedene Anlaufstellen, wo ihr Hilfe findet. Und es ist auch völlig legitim, sich Unterstützung zu suchen. Zum Beispiel über die Angebote des Adipositas Verbands. Fakt 3: Auch wenn in Selbsthilfegruppen viel dazu diskutiert wird Süßstoffe machen weder dick noch hungrig. Sie sind also nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.

Anja Roth Also dann drücken wir die Daumen für alle Vorhaben, die ihr habt und wünschen euch natürlich auch ganz, ganz viel Erfolg in den Selbsthilfegruppen, dass ihr ganz, ganz viele Menschen davon überzeugt bekommt, dass sie ein gutes Selbstbewusstsein haben können dürfen und auch sich da keine Vorwürfe machen sollen, sondern wirklich ganz befreit durchs Leben gehen können. Im Grunde.

Christel Moll Das wäre toll!

Anja Roth Also ganz, ganz viel Glück dabei.

Christel Moll Danke schön!

Sophie Samrock Genau und vielen Dank nochmal, dass Sie heute hier zu Gast waren. Und an unsere Hörerinnen und Hörer: Wir freuen uns natürlich auch, wenn er beim nächsten Mal wieder einschaltet. Bis dahin macht’s gut. Tschüss!

Christel Moll Tschüss!

Anja Roth Tschüss!