Folge #02: Ernährungsstudien richtig bewerten und einordnen
Zu Gast: Dr. Gunda Backes, Ernährungswissenschaftlerin und Expertin im Umgang mit Studien- und Forschungsarbeiten
In der neusten Folge von „so! was? süßes.“ – dem Podcast rund um Ernährung und süßen Geschmack, geht es um die Sicherheit von Süßstoffen. Unsere Gastgeberinnen Anja Roth (Ernährungswissenschaftlerin und Süßstoff Expertin) und Sophie Samrock (Moderation) befragen Dr. Gunda Backes, ihres Zeichens Ernährungswissenschaftlerin und Expertin im Umgang mit Studien- und Forschungsarbeiten: Wie werden Süßstoffe überprüft? Kann man Studien am Menschen mit Studien an Tieren vergleichen? Besteht wirklich eine Gefahr bei der Verwendung von Süßstoffen? Und warum werden Süßstoffe so genau betrachtet?
All das erfahren Sie in der aktuellen Folge unseres neuen Podcasts zu süßer Ernährung.
Viel Spaß beim Hören.
Transkription der Folge:
Sophie Samrock Herzlich willkommen zu einer neuen Folge „so! was? süßes.“ Wir freuen uns sehr, dass Ihr heute wieder alle eingeschaltet habt. Mit mir im Studio ist heute wieder unsere Ernährungs- und Süßeexpertin Anja Roth. Und, darüber freuen wir uns ganz besonders, haben wir Dr. Gunda Backes zugeschaltet. Sie ist Diplom Ökotrophologin und Wissenschaftsjournalistin im Berliner Umland. Sie recherchiert und schreibt zu Themen rund um die Ernährung, zum Beispiel für Redaktionen, Krankenkassen und Verbände. Herzlich willkommen, Frau Backes.
Dr. Gunda Backes Vielen Dank!
Sophie Samrock Ja, wir freuen uns sehr, dass Sie heute hier sind. Sie und Frau Roth kennen sich ja auch schon aus Ihrer Arbeit als Ernährungsexpertinnen. Wir haben heute auch ein ganz spannendes Thema vorbereitet. Heute geht es um das Thema Studien zur Sicherheit von Süßstoffen, weil dazu ja auch immer wieder sehr viel in den Medien berichtet wird und es ja auch sehr viele verschiedene Studien zu Süßstoffen gibt. Dazu vorab an dich, Anja, die Frage: Warum ist das denn so? Warum gibt es so viele Studien zu Süßstoffen?
Anja Roth Also Süßstoffe sind ja Zusatzstoffe. Das heißt, die müssen zugelassen werden. Und in diesem Zulassungsverfahren, da ist es halt notwendig, dass man diese ganzen Sicherheitssachen natürlich abklopft. Alles was da möglich sein könnte. Und da hat man natürlich entsprechend viele Studien vorliegen. Und dann hat man natürlich auch bei Süßstoffen einen gewissen Nutzen, den man sich erwartet. Zum Beispiel, dass der Blutzucker nicht ansteigt, dass sie keine Kalorien enthalten oder dass sie nicht den Zähnen schaden. Und das heißt natürlich auch da muss man natürlich mit Studien das Ganze belegen können. Also deswegen gibt es da halt sehr viele Studien.
Sophie Samrock Okay, und seit wann ist das so? Seit wann werden Süßstoffe überprüft?
Anja Roth Also im Grunde war das schon immer so. Also selbst der Herr Doktor Fahlberg mit seinem allerersten Süßstoff, dem Saccharin, dass er zufällig entdeckt hat, musste natürlich auch erst mal gucken: Schadet das auch niemandem? Der hat das damals so mit Selbstversuchen und so gemacht. Das wird man heute nicht mehr machen. Aber im Grunde war das schon immer so, dass da kontrolliert wurde.
Sophie Samrock Zum Thema Historie von Süßstoffen gibt es übrigens auch eine eigene Folge. Also hört da auch gerne mal rein, wenn euch das interessiert. Wie oft werden Süßstoffe denn überprüft?
Anja Roth Also erst mal in der Zulassung natürlich. Und dann würde man auch wenn jetzt irgendein Verdacht auftritt, dass irgendwas nicht in Ordnung wäre, würde man auch wieder erneut überprüfen. Also neue Studien machen. Und dann gibt es aber noch regelmäßige Studienabläufe, das heißt Evaluierungen, die dann durch die europäische Sicherheitsbehörde durchgeführt werden. Da sind die Süßstoffe jetzt auch gerade an der Reihe. Das heißt also, bis Ende dieses Jahres müssten wir da auch eigentlich wieder noch mal neue Ergebnisse haben. Also da wird schon regelmäßig geguckt, ob es da Neuigkeiten gibt.
Sophie Samrock Es gibt ja auch sehr viele Mythen und Schlagzeilen, immer wieder rund um Süßstoffe und um Studien von Süßstoffen. Warum ist es denn so, dass es da so viele Mythen gibt, gerade was die Sicherheit von Süßstoffen anbelangt?
Anja Roth Also ich denke mal, dass viele Studien – deswegen reden wir ja auch heute mal über Studien – häufig überinterpretiert werden oder falsch interpretiert werden. Außerdem haben sie oftmals gar nicht das gezeigt, was man so als Schlagzeile liest. Daraus entstehen natürlich viele Mythen.
Sophie Samrock Hmm, okay. Frau Backes, als Wissenschaftsjournalistin ist es ja Ihr Anspruch, objektive Einschätzungen zu Studien zu liefern. Sie kennen sich mit diesem Thema deshalb sehr gut aus. Deshalb auch jetzt an Sie die Frage: Was macht Studien zum Thema Ernährung denn so schwierig?
Dr. Gunda Backes Ich glaube, da gibt es mehrere Sachen, die extrem schwierig sind. Zum einen ist es bei Studien zur Ernährung anders als in der Medizin. In der Medizin können wir zum Beispiel ein Medikament geben und dann beobachten, was das für eine Auswirkung hat. Zum Beispiel ein Blutdrucksenker und wir sehen dann, dass bei den meisten Leuten der Blutdruck runtergeht. Bei der Ernährung ist es eben ganz anders, wenn man nicht ein Medikament oder ein Lebensmittel testet, sondern wir ernähren uns natürlich mit ganz vielen verschiedenen Lebensmitteln. Das heißt, es ist schon mal ethisch nicht vertretbar, dass wir jetzt über einen langen Zeitraum zum Beispiel nur ein Lebensmittel essen. Dann gibt es natürlich extrem viele Interaktionen zwischen den einzelnen Lebensmitteln, eventuell auch noch zwischen Lebensmitteln und Medikamenten zum Beispiel. Das Wichtigste ist, dass in der Ernährungswissenschaft die Auswirkungen meist sehr spät zu sehen sind. Das heißt also, wenn wir uns jetzt mal ein, zwei Jahre vielleicht nicht ganz optimal ernähren, dann fallen wir natürlich auch nicht nach zwei Jahren tot vom Stuhl, sondern oft braucht es wirklich Jahre oder manchmal auch sogar Jahrzehnte, bis man einen Effekt sieht. So lange Studien überhaupt zu konzipieren ist schon mal ein Ding der Unmöglichkeit in der Ernährungswissenschaft.
Anja Roth Aber es gibt ja doch trotzdem viele Studien oder es wird immer wieder gesagt, jetzt hat es eine Studie gegeben, sage ich jetzt mal, da wird gezeigt, dass Süßstoffe zum Beispiel Diabetes verursachen. Wie kommt man denn zu solchen Studien?
Dr. Gunda Backes Genau, da ist da ist es eben ganz wichtig, dass man schaut, was wurde in der Studie gemacht und welches Studiendesign wurde durchgeführt. Zum Beispiel: Wurde wirklich eine klinische Interventionsstudie durchgeführt, wo man wirklich sagen kann, dass man verschiedene Maßnahmen miteinander vergleichen kann? Sprich: Gibt es dann eine Kontrollgruppe und eine Gruppe, in der eben dann der Süßstoff zum Beispiel gegeben wurde. Oder ist es zum Beispiel nur eine Beobachtungstudie? Bei Beobachtungsstudien werden Korrelationen, also sogenannte Zusammenhänge, festgestellt. Ein Beispiel: Wenn man sieht, dass innerhalb einer Gruppe von Leuten, die in den letzten Jahren im Vergleich zu den Leuten aus der Kontrollgruppe ganz viele Nüsse gegessen hat, weniger Herzinfarkte auftreten. Dann kann man einen Zusammenhang feststellen, aber eben keine Kausalität. Also es kann ganz viele andere Gründe haben, warum die Gruppe, die viele Nüsse gegessen hat, eben weniger Herzinfarkte bekommen hat. Vielleicht hat die viel mehr Sport gemacht oder sich anders irgendwie ernährt oder war 20 Jahre jünger. Also das ist glaube ich die größte Gefahr bei der Interpretation von Ernährungsstudien, dass man diese falsch interpretiert hat oder dass es eben teilweise auch in den Medien dann falsch dargestellt wird.
Anja Roth Da gibt es auch diese schöne Storchen Theorie, oder?
Sophie Samrock Ja daran musste ich jetzt auch denken!
Anja Roth Die fällt mir zu diesem Thema immer wieder ein. Das ist ja wirklich mal nachgewiesen worden, dass da, wo es für Störche besonders schön ist, dörflich und angenehm zu leben, dass es da auch wirklich mehr Babys gibt.
Dr. Gunda Backes Genau, und das sind dann auch diese Geschichten, die dann daraus gestrickt werden. Das ist genauso, wie wenn man manchmal so eine Schlagzeile liest, wenn man durch Social Media scrollt und dort plötzlich geschrieben steht: „Verursacht Kaffee Krebs?“ Wenn man dann den Artikel nicht liest, bleiben im Hirn nur die Begriffe Kaffee und Krebs hängen und dass es da einen Zusammenhang gibt. Diesen Zusammenhang speichert das Gehirn dann einfach. Alles, was einem vertraut erscheint, nimmt man dann sozusagen als richtig wahr. Ich glaube, das ist auch das Problem beim Thema Süßstoffe. Jeder kennt Zucker. Über Süßstoffe denken die Leute: „Die sind künstlich hergestellt“. Es ist schwierig, diese ganzen wissenschaftlichen Prozesse zu verstehen. Da ist es dann oft einfacher zu sagen, Süßstoffe sind schlecht oder schaden der Gesundheit.
Anja Roth Aber es gibt ja auch durchaus verlässliche Studiendesigns. Wie müsste eine Studie sein, damit sie aussagekräftig ist und ihre Ergebnisse einen Wert haben?
Dr. Gunda Backes Das wären dann die sogenannten randomisierten kontrollierten Interventionsstudien …
Anja Roth Das ist aber jetzt ein langes Wort (lacht) …
Sophie Samrock Sehr komplex (lacht) …
Dr. Gunda Backes Ja (lacht), dabei handelt es sich im Prinzip um eine klinische Studie, in der man zum Beispiel zwei Gruppen hat. Eine Gruppe enthält zum Beispiel Süßstoffe die eine andere Gruppe nicht. Dann müsste man über einen längeren Zeitraum schauen, was es für Auswirkungen gibt. Wichtig ist, dass die Personen, die an der Studie teilnehmen, randomisiert sind. Das bedeutet, sie werden zufällig den Gruppen zugeteilt. Das heißt, weder die teilnehmenden Probanden noch die beaufsichtigenden Wissenschaftler wissen, wer in welcher Gruppe ist. Außerdem sind diese Studien „Placebo kontrolliert“, was bedeutet, dass es auch eine Gruppe gibt, in der gar nichts verabreicht wurde. So kann man nachher feststellen, ob es auch wirklich eine Wirkung gibt. Außerdem reichen in einer solchen Studie natürlich nicht zehn Leute, man braucht also eine ausreichend große Personengruppe, um nachher auch statistische Zusammenhänge errechnen zu können.
Anja Roth Man liest ja auch häufig von Studien, bei denen dann wirklich die Probanden befragt wurden und diese selbst Angaben machen mussten. Wie sicher kann man denn so etwas einschätzen? Oder was wird da überhaupt gefragt? Da wird dann immer gesagt: Die haben ganz viele Nüsse gegessen. Aber wie stelle ich das überhaupt fest?
Dr. Gunda Backes Das Problem mit der Benutzung von Fragebögen ist die Ungenauigkeit. Dort wird dann gefragt: Was haben sie in den letzten drei Tagen bzw. der letzten Woche gegessen? Oder ganz schlimm: Was haben sie in den letzten 10 Jahren gegessen? Da steht dann oft: Schätzen sie mal, wie viel Obst und Gemüse sie in diesem Zeitraum gegessen haben. Da muss man sich dann auch nichts vormachen. Ich glaube, jeder betrügt sich erstens gerne ein bisschen selbst. Da wird dann viel optimiert. Wahrscheinlich, weil man ja weiß, dass es vielleicht nicht ganz so gut ankommt, wenn man doch wirklich wenig Obst und Gemüse gegessen hat. Es gibt zweitens eine hohe Fehleranfälligkeit, sogenannte Bias, die dann einfach eine Rolle spielen. Diese Fehlerquellen werden dann teilweise statistisch rausgerechnet. Aber man kann dann einfach nicht hundertprozentig sicher sein. Hinzu kommt, dass man sich tatsächlich vielleicht auch nicht mehr richtig erinnert.
Anja Roth Also ich habe selbst mal als Probandin an der Sporthochschule Köln an einer solchen Studie teilgenommen und habe es als sehr anstrengend empfunden. Ich musste da auch viele Dinge abwiegen und aufschreiben. So musste ich zum Beispiel mein Bewegungsverhalten aufschreiben und habe dann gemerkt, dass ich dadurch angefangen habe, „mehr“ Sport zu machen. Beim Aufschreiben habe ich gedacht: „Oh Mann, das ist ja gar nix hier“. Also ich glaube, da kommt es zu sehr vielen Verfälschungen.
Dr. Gunda Backes Aber das ist doch ein super Beispiel, denn genau das ist der Punkt. Sobald die Menschen anfangen aufzuschreiben, welche Lebensmittel sie gegessen haben, essen sie vielleicht zum Beispiel weniger Süßigkeiten. Sie beschäftigen sich dann mit der Frage, ob es so gut ankommt, wenn sie zum Beispiel fünf Snacks am Tag zu sich nehmen. Sie reduzieren den Konsum von Süßigkeiten dann vielleicht, damit der Boden nicht ganz so schlimm aussieht. Diese Tatsache kann dann auf jeden Fall zu einer Verfälschung führen.
Anja Roth Wenn ich jetzt lese, dass die Studie XY ein Ergebnis YZ ergeben hat: Woher weiß ich denn jetzt, ob ich dieser Studie glauben kann? Woher weiß ich, ob ich den Ergebnissen trauen kann?
Dr. Gunda Backes Also am besten ist natürlich, man versucht die Originalquelle in einer renommierten Fachzeitschrift zu finden. Das ist für Laien extrem schwierig, das gebe ich zu. Aber man kann ja schon mal schauen, wo kommt diese Quelle her? Oft wird eine wissenschaftliche Literaturquelle wird zum Beispiel über einen Presseticker „gejagt“ und alle übernehmen ungesehen die Überschrift. Um beim Beispiel von vorhin zu bleiben: „Verursacht Kaffee Krebs?“ Da sollte man schon dahinter schauen: Wer hat die Studie publiziert? Gab es zum Beispiel Interessenkonflikte? Ist die Studie von der Kaffeeindustrie gesponsort worden? Wie wurde die Studie denn durchgeführt? War das zum Beispiel eine klinische Studie oder können nur Korrelationen hergestellt werden, also nur Zusammenhänge, ohne dass es eine Kausalität gibt? Ich glaube, das ist das Wichtigste. Und dann ist natürlich die Studienlänge relevant. Lief sie nur drei Tage, drei Monate oder sogar drei Jahre? Wie groß war die Bevölkerungsgruppe, die eben auch untersucht wurde oder die teilgenommen hat?
Anja Roth Und wie wichtig ist zu gucken, wo das veröffentlicht wurde? Also die Originalstudie.
Dr. Gunda Backes Ja, das ist wichtig. Im Prinzip kann jeder eine Studie durchführen. Also ich könnte jetzt hier zehn Freunde einladen und sagen, „Ihr trinkt jetzt mal jeden Tag zwei Tassen Kaffee mehr als sonst und dann gucken wir mal, was mit euch passiert“. Die Aussagekraft von solchen „Untersuchungen“ ist dann schwierig. Also generell ist es schon so, dass die Aussagefähigkeit von Studien in renommierten Fachzeitschriften deutlich höher ist.
Sophie Samrock Es gibt ja auch einige Studien mit Nagetieren. Diese werden häufiger mal zu Untersuchungen herangezogen, auch insbesondere dann, wenn es um das Thema Süßstoffe gibt. Kann man denn zum Beispiel Mäuse mit Menschen überhaupt vergleichen?
Dr. Gunda Backes Also da muss man ja und nein sagen. Ein klares „Jein“ also (lacht). Tier bzw. Nagetiere eignen sich eben sehr gut als Modell für die Grundlagenforschung. Das muss man sagen. Das große „Aber“: Die Ergebnisse sind natürlich nicht eins zu eins übertragbar. Wirkungen bei Nagetieren müssen nicht dieselben Wirkungen beim Menschen hervorrufen, zum Beispiel weil ein anderer Stoffwechsel vorliegt. Also muss man sehr aufpassen, dass man jetzt Ergebnisse aus Nagetierstudien eins zu eins auf den Menschen überträgt.
Sophie Samrock Okay, und was läuft dann in Tierversuchstudien anders als bei Studien mit Menschen?
Dr. Gunda Backes Bei natürlichen Tierversuchen haben Wissenschaftler die „24-Stunden- Kontrolle“ über ihre Untersuchungseinheit. Dort können beliebig viele Proben genommen werden. Das ist in Studien mit menschlicher Beteiligung extrem schwierig. Also mal als Beispiel: Bei so einer Studie mit Menschen würde man einmal am Tag Blut abnehmen. Bei einem Tier kann ich das natürlich, so häufig machen, wie es das Studiendesign vielleicht benötigt. Oder auch wenn es darum geht, Stuhlproben abzugeben. Das ist auch mal so ein schönes Beispiel dafür, was in humanen Studien extrem schwierig ist. Da können die Wissenschaftler schon froh sein, wenn sie eine am Tag bekommen. Und dann werden die Proben noch alle zu unterschiedlichen Zeiten gesammelt. In so einem Käfig kann ich das natürlich einfach sammeln und habe dann rund um die Uhr gewisse Mengen, die analysiert werden können. Hinzu kommt, dass die Nagetiere natürlich oft recht kurze Lebenszeit haben. Das heißt, ich habe dann als Wissenschaftler auch die Möglichkeit, nach dem Tod der Tiere vielleicht Organe zu entnehmen, um zu gucken, was mit dem Stoffwechsel des Tieres passiert ist. In natürlichen Tierversuchen gibt es in vielerlei Hinsicht mehr Möglichkeiten, als ich bei Studien mit menschlicher Beteiligung machen kann.
Sophie Samrock Sind Nagetierstudien also ein erstes Indiz dafür, den Ergebnissen besser kritischer gegenüber zu stehen und genauer nachzuschauen?
Dr. Gunda Backes Genau. Auf jeden Fall. Also man kann zu dem Schluss kommen: Okay, man hat hier vielleicht etwas bemerkt. Aber vielleicht ist ja auch diese Nagetierpopulation, die in der Studie untersucht wurde, sowieso sehr anfällig für Krebs zum Beispiel. Das ist bei auch einigen auch so. Dann habe ich schon mal eine schlechte Ausgangslage, um das nachher auf den Süßstoff einfach zurückzuführen. Also man muss genau hingucken.
Anja Roth Also ich glaube auch insbesondere in Tierversuchsstudien, die in Richtung Sicherheit gehen, wird auch zum Teil mit extremen Dosierungen gearbeitet. Hier werden deutlich höhere Mengen von einer bestimmten Substanz verabreicht, als es in der Ernährung eigentlich üblich wäre oder überhaupt möglich wäre.
Dr. Gunda Backes Genau, dass ist auch noch ein richtig guter Punkt, weil das ist genau die Tatsache. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit berücksichtigt einen Sicherheitszuschlag. Da müsste man dann das 100-fache von dem essen, was man als Mensch normalerweise verzehrt.
Anja Roth Ja, in Tierversuchen wird häufig genau diese vorgegebene Menge von der EFSA nochmal weit überschritten. Und das hat dann seinen Effekt. Genau, ja.
Dr. Gunda Backes Genau, dann muss man auf jeden Fall vorsichtig sein. Man kann nicht eins zu eins die Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragen.
Sophie Samrock Wir haben ja gerade schon die EFSA angesprochen. Vielleicht können Sie noch mal weitere Quellen nennen, wenn es welche gibt, wo man sich einen umfassenden Überblick zu Studienergebnissen mit Süßstoff Bezug verschaffen kann.
Dr. Gunda Backes Also generell glaube ich, hat der Süßstoffverband sehr gute Quellen dazu zusammengetragen. Dann gibt es sicher beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Möglichkeiten. Die haben auch verschiedene Stellungnahmen zu Süßstoffen. Ja und wie gesagt, wichtig ist wirklich zu gucken, wo liest man diese Quellen.
Sophie Samrock Ok. Das heißt, wenn ich schnell und richtig recherchieren möchte, ob eine Meldung stimmt, dann ist eigentlich der beste Tipp, möglichst viele Quellen zu Rate zu ziehen und sich dann selbst ein Bild zu machen.
Dr. Gunda Backes Genau. Und eben auch tatsächlich diese offiziellen Stellen zu nutzen, zum Beispiel von der europäischen Behörde oder vom Bundesinstitut für Risikobewertung oder von der Deutsche Gesellschaft für Ernährung oder vom Gründerzentrum für Ernährung. Das sind eben Stellen, wo wirklich auch Experten sitzen, die Sachen untersuchen, bewerten und so weiter. Also da kann man sich auf jeden Fall ein gutes Bild verschaffen.
Sophie Samrock Okay, super. Frau Backes, noch mal zu den Mythen. Warum halten die sich denn zum Teil so hartnäckig?
Dr. Gunda Backes Mir würde vielleicht noch einfallen, dass man da vielleicht einfach noch mal darauf hinweist, dass gerade das Thema Ernährung ein wahnsinnig persönliches Thema ist. Jeder Mensch isst und jeder ist bei diesem Thema auch ganz schnell angefasst. Wenn einem jemand sagt, dass und das sollst du nicht essen, dann ist es ja manchmal so, dass man sofort beleidigt ist. Und das sieht man ja auch ganz gut bei den Veganern zum Beispiel oder bei Milchgegnern oder so, dass die Leute wahnsinnig überzeugt sind. Und ich glaube, das ist so ein Punkt, der kommt auch bei den Mythen extrem durch. Das ist wie so ein schlechtes Gerücht, dass mal in die Welt gesetzt wurde. Das kriegt man extrem schlecht wieder raus.
Sophie Samrock Und vermeintlich kann auch jeder Experte sein. Ich denke jetzt gerade an die sozialen Medien, was da so verbreitet wird. An Ernährungsmythen, verpackt als Fakten oder gute Tipps, wie man abnehmen kann von Personen, die jetzt nicht unbedingt einen wissenschaftlichen Background haben.
Dr. Gunda Backes Absolut und ganz perfide sage ich mal, ist es ja dann, wenn sich auch noch ein Wissenschaftler mit solchen „Fake News“ zu Wort melden. Dass hat man jetzt ja so ein bisschen auch bei diesen Corona Impfungen teilweise gesehen, weil die Leute natürlich dann sagen: „Ja, aber wenn der Professor so und so da sagt, dann muss das schon stimmen“ und die einfach das selber nicht mehr hinterfragen. Und ich glaube, was auch wirklich wichtig ist, dass man einfach noch mal sagt: Man braucht transparente Wissenschaftskommunikation und man muss die Leute durch gute Bildung dazu befähigen, dass sie in der Lage sind, irgendwelche Sachen, egal ob in Politik, Naturwissenschaft oder sonst was, kritisch hinterfragen zu können. Ich meine, keiner kann Experte für jeden Lebensbereich sein, dass ist klar. Aber man kann schon lernen, dass man nicht alles sozusagen so runterschluckt und sagt: „Ja, dann ist es halt so“.
Anja Roth Was mir gerade noch so einfällt: Man liest ja wirklich häufig auch in wirklich guten Zeitschriften oder im Internet auf guten Seiten schlimme Überschriften zu einer Studie. Und darunter steht dann allerdings eigentlich alles richtig erklärt und auch mit Fragezeichen und so. Aber die Überschrift, die passt eigentlich nicht zum Rest vom Text.
Dr. Gunda Backes Und das halte ich auch für extrem schlimm. Weil viele lesen ja auch nur die Überschrift und das ist das, was ich vorhin gemeint habe. Wenn dann da steht: „Verursacht Kaffee Krebs?“. Zwar mit einem Fragenzeichen. Aber bei den Leuten bleibt dann einfach Kaffee und Krebs als Zusammenhang sozusagen hängen. Und die lesen den Artikel ja gar nicht unbedingt. Man kann meist noch nicht mal alles lesen. Es gibt eine riesige Informationsflut und im Endeffekt kann man es dann auch nicht mehr beurteilen und man erinnert sich dann einfach nur an so eine Schlagzeile.
Anja Roth Ja und die Wahrheit steht eigentlich erst im letzten Abschnitt, ne?
Dr. Gunda Backes Genau. Oder der Artikel sagt eigentlich was ganz anderes, nämlich, dass es gar keinen Zusammenhang gibt.
Sophie Samrock Ja, ja, ja, solche Schlagzeilen verkaufen sich halt leider immer besser. Gerade online werden sie deutlich besser geklickt.
Dr. Gunda Backes Genau. Ja, das ist doch dieses alte: „Only bad news are good news“.
Sophie Samrock Ja, ja, das stimmt. Sie haben gerade noch das Thema Bildung angesprochen. Die Menschen müssten sich mehr bilden oder sollten mehr gebildet werden. Wo würden Sie da ansetzen? Muss es schon in der Schule passieren?
Dr. Gunda Backes Ja, auf jeden Fall. Ich finde, das sieht man momentan ganz gut, dass es extrem wichtig ist. Grundlegende Fragen wie: Was ist ein Virus? Was ist der Unterschied zwischen Viren und Bakterien? Wie funktioniert das alles? Wie funktioniert eine Impfung? Das sind so Sachen, die lernt man in der Schule oder hat sie dort zumindest mal gehört. Da hat man ja schon teilweise das Gefühl, dass viele Leute das entweder nicht verstehen wollen oder einfach so nicht richtig verstehen. Ich glaube schon, dass die Naturwissenschaft da teilweise wirklich zu kurz kommt.
Sophie Samrock Ja, auf jeden Fall. Vielleicht fehlt da auch so ein bisschen das Know-how: Wie recherchiere ich richtig? Viele lernen das im Studium. Aber wer jetzt nicht studiert hat oder keinen wissenschaftlichen Background hat, weiß vielleicht gar nicht, wie er richtig googeln kann und an vertrauenswürdige Ergebnisse auch rankommt.
Dr. Gunda Backes Genau! Was ich auch teilweise glaube, ist, dass die Leute es nicht hören wollen. Sie sagen tatsächlich: „Och, das erscheint mir vertraut sozusagen, das glaube ich jetzt einfach mal“.
Anja Roth So ein bisschen nach dem Motto: Ich habe es schon immer gewusst.
Dr. Gunda Backes Ich habe mal so ein bisschen recherchiert. Es gibt auch psychologische Studien, da wurde gezeigt, dass die Leute zum Beispiel lieber an ein komplett falsches Bild glauben, als an ein unvollständiges Bild. Wissenschaft ist immer ein unvollständiges Bild. Wir haben ja immer nur einen jetzigen Wissensstand. Der kann ja morgen schon wieder anders sein. Es kann ja sein, dass nächstes Jahr jetzt wieder andere Daten da sind. Wir haben es ja bei dem Astra Zeneca Impfstoff, zum Beispiel gesehen, wenn ich das mal erwähnen darf, dass die Leute am Schluss einfach nur noch genervt waren, nur weil sie das Wort gehört haben. Obwohl ja eigentlich wissenschaftlich beurteilt alles richtig gemacht wurde. Aber die können nicht damit umgehen, dass sich einfach wieder ein neuer Wissensstand ergibt und das ist in der Wissenschaft so. Es gibt halt nicht dieses Schwarz und Weiß, es gibt halt Graubereiche und es gibt vor allem immer so einen wissenschaftlichen Prozess, der sich immer weiterentwickelt. Ich glaube, das muss man lernen, dass es halt immer wieder neue Daten gibt und das ist alles anstrengend. Es ist extrem anstrengend, wenn man da immer mitmachen will und da ist es glaube ich tatsächlich einfach zu sagen: „Mein Gott, dann lass ich mich halt nicht impfen“. Das ist einfach viel einfacher.
Sophie Samrock Ich glaube, dass es beim Thema Süßstoffe ja auch ähnlich. Da gab es irgendwann mal, Anja korrigiere mich, vor mehreren Jahrzehnten Studien mit Ratten, die jetzt auch immer wieder herangezogen werden und worauf sich Medien berufen oder auf Verbraucher. Ich glaube, das ist gerade dieses Thema. Was man einmal gehört hat, glaubt man dann eben.
Dr. Gunda Backes Ja, genau das ist ein gutes Beispiel, dass das sich hartnäckig hält, egal wie viele Studien es da inzwischen gibt, die das nicht bestätigen. Aber es hält sich wirklich wahnsinnig. Und manchmal verstärkt sich das ja auch noch mal, wenn man versucht, den Mythos zu entkräften. Dann verstärkt sich das auch noch teilweise, weil sich das Thema, zum Beispiel Aspartam und Krebs dann immer noch mal durch die Medien kommt.
Anja Roth Ja, also auf jeden Fall werden wir nicht arbeitslos so schnell.
Dr. Gunda Backes Ja! (lacht)
Anja Roth Weder du noch ich (lacht). Hat ja auch was für sich, ne?
Sophie Samrock Dann kommen wir jetzt noch mal zu unserem Faktencheck.
Sophie Samrock Fakt 1: Zu Süßstoffen wird geforscht, seit es sie gibt, also seit rund 130 Jahren. Und sie werden regelmäßig überprüft. Fakt 2: Trotz der vielen Studien zu Süßstoffen halten sich einige Mythen sehr hartnäckig. Zum Teil, weil immer wieder darüber berichtet wird und zum Teil, weil Mythen auch über Jahrzehnte hinweg falsch verbreitet werden. Fakt 3: Bei Studien gilt immer, sich selbst zu fragen: Was ist das für eine Quelle, die über die Studie berichtet? Und was war das überhaupt für eine Studie? Thema Kausalität und Korrelation. So, dann hoffen wir, ihr habt einiges mitnehmen können aus dieser Folge. Herzlichen Dank noch mal an Frau Backes, dass Sie dabei waren und uns Rede und Antwort gestanden haben.
Dr. Gunda Backes Ja, sehr gerne.
Sophie Samrock Ja, dann würden wir uns natürlich sehr freuen, wenn ihr beim nächsten Mal auch wieder mit einschaltet. Und bis dahin.