Prof. Dr. Steinberg: „Süßstoffe werden in der Öffentlichkeit falsch wahrgenommen“

Prof. Dr. Steinberg: „Süßstoffe werden in der Öffentlichkeit falsch wahrgenommen“

Kürzlich erschien die 2. Auflage des Fachbuchs „Lebensmitteltoxikologie“. Wir sprachen mit dem habilitierten Toxikologen, Mitherausgeber und Autoren des Kapitels Lebensmittelzusatzstoffe Herrn Prof. Dr. Pablo Steinberg, Präsident des Max Rubner-Instituts.

Das Buch „Lebensmitteltoxikologie“ umfasst über 400 Seiten. Muss uns das Angst machen? Wie „toxisch“ sind unsere Lebensmittel?

Prof. Dr. Steinberg: Das Buch soll keinesfalls Panik schüren, sondern im Gegenteil: In einer Zeit, in der Fake News viele Schlagzeilen bestimmen, soll es ein verlässliches Nachschlagewerk sein. Ziel des Buches ist es, in übersichtlicher und kompakter Form zu informieren und die Stoffgruppen, die in und auf Lebensmitteln vorkommen können, unter Einbezug von experimentellen Tier- und Humanstudien so objektiv wie möglich zu bewerten.

Als Lebensmitteltoxikologe und Präsident des MRI beschäftigen Sie sich bereits seit langem mit der Thematik. Welche Entwicklungen sehen Sie bei der Lebensmittelsicherheit sowie beim Wissen der Verbraucher*innen über Lebensmittel und ihre Zubereitung?

Prof. Dr. Steinberg: Unsere Lebensmittel sind sicher. Das wesentliche Kriterium ist die Einhaltung der geltenden Grenzwerte und Höchstmengen von Fremdstoffen in Lebensmitteln. Und die Mengen an Rückständen und Kontaminanten, die auf und in Lebensmitteln auffindbar sind, bewegen sich in den allermeisten Fällen unterhalb der festgelegten Grenzwerte. Allerdings handelt es sich dabei immer nur um eine Momentaufnahme. Die geltenden Grenzwerte und Höchstmengen sind nicht in Beton gegossen. Vor einigen Jahren z.B. wurden aufgrund neuer Erkenntnisse die Grenzwerte für Kadmium gedrittelt. Neue Befunde, beispielsweise eine neue Kontaminante, und neue Untersuchungsergebnisse bedingen ein entsprechendes Handeln. Daher stellt die Risikobewertung einen dynamischen Prozess dar.

Mein Eindruck ist, dass der Verbraucher häufig nicht ausreichend mit objektiven Informationen versorgt ist. Das vorliegende Buch ist in diesem Sinne nicht als Nachschlagewerk für Verbraucher, sondern vielmehr für Multiplikatoren – auch in der Verbraucherberatung – gedacht. Institutionen, wie z.B. das Bundesinstitut für Risikobewertung, informieren bereits sehr kompetent und objektiv. Die Informationen müssen aber natürlich auch beim Verbraucher ankommen.

Sie gehen in Ihrem Buch auf eine Vielzahl an Stoffen ein, die in unseren Lebensmitteln eine Rolle spielen können. Gibt es Stoffe, die aus Ihrer Sicht von Verbraucher*innen unterschätzt werden? Wo sehen Sie ggf. Handlungs- bzw. Informationsbedarf?

Prof. Dr. Steinberg: Handlungs- und Informationsbedarf sehe ich insbesondere bei der Zubereitung der Lebensmittel durch den Verbraucher selbst. Pommes frites zum Beispiel werden in der Gastronomie bei maximal 170°C in der Fritteuse zubereitet, um die Bildung von Acrylamid zu verhindern. Solche Minimierungsstrategien, die man für alle Stufen der Produktion angesetzt hat, funktionieren im Privathaushalt häufig nicht. Hier werden die Pommes häufig viel zu dunkel gebräunt und es entsteht ein hoher Gehalt am gesundheitsschädlichen Acrylamid. Verbraucher sollten immer darauf achten, Getreide und Kartoffelprodukte nur zu vergolden und nicht dunkelbraun werden zu lassen. Ähnliches gilt für Grillgut. Auch hier darf das Fleisch nicht zu dunkel gegrillt, oder gar verkohlt werden, um die Entstehung krebserregender Substanzen zu verhindern. Das sind Verhaltensweisen, die sich dem Verbraucher einprägen müssen.

Ein kleines Kapitel in Ihrem Buch beschäftigt sich auch mit Süßstoffen, an dem wir als Süßstoff-Verband ein besonderes Interesse haben. Sie schreiben, dass durch die Verwendung von Süßstoffen eine Brennwertminderung des Lebensmittels, also eine Energiereduktion, erreicht wird.
Süßstoff gesüßte Lebensmittel, insbesondere Getränke, liegen zurzeit im Trend. Zudem werden viele Lebensmittel reformuliert, und der Verzehr von Süßstoff gesüßten Produkten könnte steigen, sehen Sie darin ein potenzielles Risiko?

Prof. Dr. Steinberg: Das Max Rubner-Institut führt keine eigenen Studien zu Süßstoffen und deren Sicherheit durch. Zu kumulativen oder Kombinationseffekten kann ich daher keine Bewertung abgeben. Studien zur Toxizität von Kombinationseffekten sind prinzipiell sehr aufwendig und sehr langwierig. Ob zurzeit in Richtung von Kombinationseffekten bei Süßstoffen überhaupt geforscht wird, ist mir nicht bekannt.

Das Max Rubner-Institut führt im Rahmen der Nationalen Reduktions- und Innovationstrategie das Produktmonitoring durch und beachtet insbesondere an Kinder gerichtete Fertigprodukte. Im Jahr 2020 wurden Brot und Backwaren, Fleisch- und Wurstwaren, Riegel, Quetschprodukte sowie Kinderfertigmahlzeiten untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass keine Süßstoffe in den im letzten Jahr untersuchten Fertigprodukten, die speziell an Kinder gerichtet sind, vorhanden waren. Bei diesen Lebensmitteln sind also Süßstoffe, entsprechende Reformulierungen und eine damit verbundene mögliche erhöhte Verzehrmenge momentan kein Thema.

Zudem erwarten wir in diesem Herbst eine Neubewertung von Süßstoffen durch die EFSA. Diese Stellungnahme der EFSA gilt es abzuwarten.

Sie erwähnen zudem, dass Aspartam, Cyclamat und Saccharin in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert werden. Es geht vor allem um den Vorwurf, krebserregend zu sein. Zu welchem Schluss kommen Sie?

Prof. Dr. Steinberg: Wir haben die Zusatzstoffe und daher auch die Süßstoffe im Buch aufgenommen, weil sie in der Öffentlichkeit teilweise kontrovers diskutiert werden und dadurch häufig im Fokus stehen. Bei der Beurteilung der Süßstoffe wurde das Augenmerk insbesondere auf die Beurteilung der Studien gelegt, die auf ein kanzerogenes Potenzial dieser Stoffe hinzudeuten scheinen. Bei genauerer Betrachtung der Studiendesigns und Studienergebnisse kommt man zu dem Schluss, dass keine Krebsgefahr durch Aspartam, Cyclamat oder Saccharin besteht.

Es gibt neben den drei genannten acht weitere Süßstoffe. Sie werden in Ihrem Buch – mit Ausnahme von Steviolglycosiden – nicht erwähnt. Warum nicht?

Prof. Dr. Steinberg: Die Steviolglycoside wurden im Buch aufgenommen, weil sie noch relativ neu am Markt sind und ein entsprechend großes Interesse an ihnen besteht. Andere Süßstoffe wurden ebenso wie die Zuckerersatzstoffe nicht berücksichtigt, weil sie nicht im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen. Einen Bedarf zur Stellungnahme gibt es darüber hinaus nicht, da die momentan auf dem Markt befindlichen Süßstoffe als Zusatzstoffe zugelassen – entsprechende Sicherheitsbewertungen durchlaufen haben – und dabei Grenzwerte und Höchstmengen festgelegt wurden.


Fachbuch: Lebensmitteltoxikologie

Die Beurteilung und Minimierung der Risiken durch potenziell toxische Stoffe in Lebensmitteln gehören zu den aufwändigsten Aufgaben in der Risikobewertung und im Risikomanagement. Das gilt für Länder- und Bundesbehörden sowie in der Qualitätssicherung der Lebensmittelwirtschaft. Dieses Buch beschäftigt sich in klar strukturierter Form mit dem Vorkommen, der Charakterisierung und der Bewertung gesundheitlich relevanter Substanzen in Lebensmitteln. Es richtet sich an Verantwortliche in der Lebensmittelindustrie, Untersuchungsämter und Prüflaboratorien sowie Studierende und Lehrende u. a. in Ernährungswissenschaften, Ökotrophologie, Lebensmittelchemie, Lebensmitteltechnologie und Medizin.

Eine erste Einschätzung hinsichtlich sicherheitsrelevanter Stoffe in Rohwaren oder bedingt durch die Produktion wird durch dieses Buch möglich.

Neben Rückstandsbildnern (Pflanzenschutz-, Tierarzneimittel und Zusatzstoffe) wird die sehr heterogene Gruppe der Umwelt- und Reaktionskontaminanten einschließlich toxinproduzierender Bakterien und Schimmelpilzen besprochen. Ein einführender rechtlicher Überblick sowie spezielle Bewertungen in den Unterkapiteln runden das Fachbuch ab.
Eine so vollständige, praxisrelevante und dennoch kompakte Darstellung der Lebensmitteltoxikologie ist auf dem deutschsprachigen Markt einmalig. Dafür stehen die renommierten Herausgeber und ihr hochkompetentes Autorenteam.

Lebensmitteltoxikologie

Sicherheitsrelevante Stoffe in Lebensmitteln: Vorkommen, Risikobewertung, Minimierung

Hrsg.: Prof. Dr. Gerd Hamscher, Prof. Dr. Pablo Steinberg
2.Auflage2021, Hardcover, 412 Seiten,
ISBN: 978-3-95468-655-1 Behr’s Verlag

Fragen & Antworten

Anja RothÖFFENTLICHKEITSARBEIT DEUTSCHLAND

Süßstoff-Verband e.V.

Postfach 90 60 85,

51127 Köln

+49 (0) 2203 20 89 45

info@suessstoff-verband.de